#7 Olympic Destroyer — Der Cyber-Angriff auf die Olympischen Winterspiele 2018

Was ist eine False-Flag-Operation? Wie bereiten staatliche Cyberkräfte eine Sabotage-Aktion mittels Wiper-Malware vor? Wie erleben Betroffene einen solchen Angriff und wie wehren sie ihn ab? In dieser Folge bereiten wir den Cyberangriff gegen die Olympischen Winterspiele 2018 in Südkorea auf und versuchen Antworten auf die oben genannten Fragen zu geben. Folgt uns auf eine Reise in die Welt der Cybersabotage und die Herausforderungen der Attribution.

Shownotes

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„In der Zielumgebung der olympischen Winterspiele schaffen es die Agenten, einen Administrationsaccount zu ergattern. Sie nutzen diesen Account, um auf mehr als 16.000 Computern in der Zielumgebung Passwörter abzugreifen. Insgesamt bekommen sie somit die Zugangsdaten zu 400 verschiedenen Accounts.“

00:00:40 Christian Dietrich: Hallo liebe Cyberfreunde. Mein Name ist Chris. Ich bin Professor für Cybersicherheit an der westfälischen Hochschule…

00:00:46 Lars Wallenborn: …und hallo, ich bin Lars. Ich arbeite als Softwareentwickler und Reverse Engineer für CrowdStrike.

00:00:51 Christian Dietrich: Den Einspieler, den wir gerade gehört haben, der bezieht sich auf Inhalte aus einem relativ großen Vorfall, über den wir heute sprechen wollen. Und das Ganze bezieht sich auf die Olympischen Winterspiele 2018, die in Südkorea stattfanden. Und zwar in der Stadt Pyeongchang.

00:01:09 Lars Wallenborn: Nicht zu verwechseln mit Pjöngjang. Das ist eine ganz andere Stadt natürlich. Ja, und warum spielt das eine große Rolle? Na ja, gut, es sind erst mal Olympische Winterspiele, das heißt also ein weltweit riesen Event. Ja, also jeder kriegt das mit, wenn Olympische Winterspiele sind.

00:01:22 Christian Dietrich: Zum zweiten war es ein destruktiver Angriff. Also es ging um Sabotage.

00:01:25 Lars Wallenborn: Und das ist immer was ganz besonderes. Wenn man nur unseren Podcast hört, könnte man denken, dass jeder zweite oder dritte Cyberangriff ein Sabotageangriff ist, aber das ist mitnichten so. Wir finden die nur besonders interessant. Deswegen machen wir dazu so viele Folgen. Wie zum Beispiel die Folge Nummer Fünf, über die destruktive Malware Shamoon. Genau. Und das hier war auch so ein Sabotage Fall.

00:01:42 Christian Dietrich:  Und das dritte Argument ist vielleicht, wir haben ja so ein gewisses Faible für Attribution oder Fragen der Attribution, und auch vor dem Hintergrund ist dieser Vorfall besonders interessant. Man könnte sich nämlich hier im Kontext die Frage stellen: Was ist eigentlich eine False Flag Operation?

00:01:57 Lars Wallenborn: Und wir werden unter anderem auch jetzt gleich abdecken, wie lange so eine Vorbereitung auf so einen Angriff oder einen Hack überhaupt ist. Also da gibt es ja verschiedenen Filme oder Serien, die das verschieden gut oder schlecht darstellen. Also wie sich nämlich herausstellen wird – oh Wunder –  ist es nicht eine Person, die vor vier Monitoren sitzt und wild auf einer Tastatur herum tippt, sondern es ist eine monatelange Vorbereitung von vielen Leuten, die daran Vollzeit arbeiten. Und das kann man hieran auch gut erkennen.

00:02:25 Christian Dietrich: Ja. Außerdem ist für diesen konkreten Fall ganz interessant, dass kürzlich ein Kopfgeld ausgesetzt wurde oder eine Belohnung. Nämlich in Höhe von 10 Millionen US Dollar – durch das FBI –  für Hinweise zur Ergreifung der betroffenen Personen, der Beschuldigten hier. Und das unterstreicht nochmal, dass der Fall auch heute noch – also mehr als vier Jahre später – noch wichtig zu sein scheint. Lars, wie lange dauert denn eigentlich so eine Vorbereitung von so einem Hack?

„Der Agent beginnt mit der Reconnaissance. Er recherchiert, welche Firmen die Olympischen Winterspiele unterstützen. Unternehmer, die als Partner oder Sponsor auf der Webseite genannt werden, geraten so ins Fadenkreuz. Er verfasst Spear-Phishing E-Mails und schickt sie an 29 Adressen bei diesen Partnerunternehmen. Darunter befinden sich auch IT Dienstleister. Der Agent fälscht den Absender der E-Mail, sodass sie angeblich vom IOC Commission Chairman kommt. Der Anhang ist eine schadhafte Word Datei, die den Computer infiziert, auf dem sie geöffnet wird. Außerdem wird die Domain msrole.com registriert.“

00:03:36 Lars Wallenborn: So, und das ist alles passiert – du hattest ja gerade gefragt – im November 2017. Also es geht um die Olympischen Spiele 2018 und das ist jetzt im Vorjahr und da im November. Da sind also verschiedenen Dinge passiert. Und wie wir gerade gehört haben, da ist etwas, das nennt man, wenn man sich edel ausdrücken will Reconnaissance. Also da hat eine Person recherchiert, was überhaupt gute Ziele sind. Ja, also in dem Fall was IT Dienstleister sind, die die olympischen Spiele versorgt haben.

00:04:02 Christian Dietrich: Genau. Und das ist der Startpunkt. Das heißt also, das war scheinbar der Zeitpunkt, wo der der Angreifer, also die Akteure begonnen haben, diesen Angriff, den wir später noch kennenlernen werden, vorzubereiten. Und bei solchen öffentlichen Veranstaltungen ist ganz praktisch, dass die natürlich auch ihre Sponsoren darstellen wollen. Das heißt, in der Reconnaissance wurde hier eben ausgelotet, welche Dienstleister gibt es denn? Man muss sich das im Prinzip so vorstellen, dass es natürlich Partnerunternehmen gibt, die da bestimmte Dienstleistungen erbringen. Das ist also nicht die Kernorganisation für Olympische Spiele, die jetzt da zum Beispiel die IT Infrastruktur macht, sondern das sind natürlich Zulieferer. Also große IT Unternehmen beispielsweise, vielleicht auch kleine, die da bestimmte Aufgaben eben übernehmen.

00:04:49 Lars Wallenborn: Und dabei geht es halt darum, dass man da so als Angreifer, ich sage immer gern den langsamsten Büffel identifiziert. Also man will halt nicht den sichersten von den sichersten IT Dienstleistern kompromittieren, sondern man will halt unter all denen die es gibt, quasi den Schwächsten finden und den dann kompromittieren. Einfach aus Effizienzgründen.

00:05:05 Christian Dietrich: Ja, und was wurde von den Akteuren hier maßgeblich gemacht? Es wurden jede Menge Spear-Phishing E-Mails verfasst und mit einem schadhaften Word Dokument im Anhang verschickt.

00:05:15 Lars Wallenborn: Und das ist so ein Word Dokument, wie man das sich vorstellt. Das ist so eine Datei, die macht man auf, dann fragt die einen, ob man Makros aktivieren möchte und dann klickt man auf „Ja“ – also wenn man im Sinne des Angreifers handelt. Und dann macht diese Word Datei ihre bösen Dinge auf dem Computer, auf dem sie geöffnet ist.

00:05:33 Christian Dietrich: Wir haben uns mal eine E-Mail rausgesucht, die hier verschickt wurde, eine solche Spear Phish E-Mail. Und wenn euer Podcast Player das unterstützt, dann zeigt er den Text oder den Screenshot einer solchen E-Mail, wie sie in einem E-Mail Programm angezeigt werden würde, jetzt an. Ich lese das mal kurz vor. Also der Text ist relativ kurz in dieser Mail. Sie soll angeblich kommen von einem Absender, der da ‚IOC Info‘ heißt. IOC steht eben für International Olympic Committee. Und der Text lautet: „Dear Partners, the preparations for the Olympic Winter Games have successfully ended and in this connection, we would like to express our gratitude to you. We would be happy to foster our cooperation and present a list of our commercial offers. Looking forward to further cooperation…“ Und so weiter und so fort. Und da ist dann eine Signatur und auch so ein bisschen das Logo des IOC und so weiter drunter.

00:06:27 Lars Wallenborn: Das fällt jetzt natürlich direkt auf, dass das nicht so perfekt englisch ist. Man könnte jetzt sagen: Ja, das erkennt man doch sofort. Aber andererseits selbst im richtigen Business Kontext sprechen ja nicht alle immer perfekt englisch. Also hier fällt einem vielleicht dieses „…in this connection, we would like to express our gratitude…“, also das hat man wahrscheinlich aus einer anderen Sprache so was übersetzt wie „..in Bezug darauf möchten wir unsere Dankbarkeit aussprechen.“

00:06:49 Christian Dietrich: Genau. Man brauchte halt einfach nur irgendwie Text, der den Empfänger dazu verleitet, diesen Anhang zu öffnen. Es geht eigentlich gar nicht so sehr um den Text der da drin steht, und man könnte eben auch provokant sagen: Na ja, also jemand der bei so einem Text hier schon irgendwie stutzig wird, und gar nicht erst den Anhang öffnet, der würde wahrscheinlich bei so einer internationalen Organisation wie dem IOC oder in diesem Kontext gar nicht klar kommen, weil da wahrscheinlich eine ganze Menge solcher E-Mails irgendwie verschickt werden. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass die Adressaten, diese E-Mail hier entsprechend öffnen und den Anhang öffnen ist vermutlich recht hoch.

00:07:24 Lars Wallenborn: Ja, das würde ich eigentlich auch sagen. Genau. Dann das letzte, was wir gerade noch gehört haben, wie gesagt, wenn man sich wieder vornehm ausdrücken möchte, so wie man eben sagt, jemand googelt, nennt man das Reconnaissance. Jetzt wurde hier eine Domain registriert, msrole.com, das könnte man auch als Infrastruktur Setup bezeichnen. Also auch auf so einer Ebene, man registriert eine Domain, die man vielleicht später verwenden will, damit Malware mit der Domain kommuniziert, die bereitet man jetzt auch schon vor. Also man setzt die Infrastruktur auf, die dann für diesen Cyberangriff vielleicht nötig werden wird.

00:07:55 Christian Dietrich: Wenn wir uns ganz kurz noch einmal den zeitlichen Verlauf vor Augen führen: Im Februar fanden die Olympischen Winterspiele statt. Wir haben jetzt gehört, was im November passiert ist, springen wir mal in den nächsten Monat, nämlich den Dezember.

„Für die folgenden drei Monate werden das Verfassen und Versenden von  Spear-Phishing E-Mails eine immer wiederkehrende Tätigkeit. Am 06. Dezember 2017 alleine, wurden etwa 220 E-Mails auf diese Weise verschickt. Zwei Tage später 98 weitere. Ein Agent beginnt mit der Vorbereitung für die Entwicklung einer Wiper Schadsoftware. Andere Agenten führen einen Scan des Zielnetzwerkes durch, mit dem Ziel, Schwachstellen zu finden.“

00:08:37 Lars Wallenborn: So, was ist jetzt passiert? Das war jetzt einen Monat später, also das deckt jetzt schon einen Teil des Dezembers ab, 2017. Da wurde also angefangen, eine Schadsoftware zu entwickeln. Also Malware zu entwickeln. Und zwar eine Wiper Malware. Das ist eine Malware, die sich darauf fokussiert, Dateien von einem Computer zu löschen. Also da geht es nicht darum, Dateien irgendwie zu verschlüsseln oder so, sondern da geht es so um Schaden verursachen, Computer beschädigen, im Sinne von Daten davon löschen, sodass sie zum Beispiel nicht mehr booten oder so was.

00:09:06 Christian Dietrich: Wenn ihr dazu mehr wissen wollt, hört euch vielleicht mal Folge Fünf an, da reden wir ein bisschen über Wiper.

00:09:10 Lars Wallenborn: Und das kann man sich jetzt wirklich so ganz konkret vorstellen. Also da setzt sich jetzt so eine Person hin und will eine Windows Software programmieren, und macht dafür die Entwicklungsumgebung auf…

00:09:21 Christian Dietrich: Wahrscheinlich Microsoft Virtual Studio.

00:09:23 Lars Wallenborn: …und dann wird da Programmiercode in diese Entwicklungsumgebung rein getippt, so in C oder C++, dann wird das kompiliert und dann kommt da eine ausführbare Datei bei raus. Also dieser Programmiervorgang dauert jetzt natürlich etwas länger, aber na ja, jetzt im Dezember wird damit halt schon mal angefangen. Auch vielleicht bezeichnend: Bevor man überhaupt Zugriff auf irgendwelche Systeme hat.  Klar, da wurden schon Spear-Phishing E-Mails verschickt und so, aber die Akteure die dahinter stecken, die sehen halt voraus, dass sie  wahrscheinlich irgendwann auf irgendwas Zugriff bekommen, und bereiten sich dann schon mal vor, Malware zu schreiben, die sie dann da ausbringen können.

00:09:56 Christian Dietrich: Genau. Das sind halt Leute, die das nicht zum ersten Mal machen und die wissen, dass sie hier parallele Aktivitätsstränge haben müssen. Also die haben Reconnaissance im letzten Monat gestartet, dann Infrastruktur begonnen und jetzt fangen sie eben auch schon mit der Malware Entwicklung an. Und was machen sie noch? Sie betreiben Vulnerability Scanning. Das heißt, sie suchen nach Schwachstellen in der Ziel-Infrastruktur. Das kann man sich so vorstellen, also vielleicht so eine Metapher wäre, dass man mal die ganzen Häuser in einer Straße abgeht und überall die Türklinke mal so runter drückt, so auf gut Glück, um zu gucken, ob die Tür offen ist. Ist sie vielleicht gar nicht abgeschlossen, sondern kommt man irgendwo rein? Man drückt mal gegen jedes Fenster und guckt ob man da irgendwie reinkommt. Wenn man da so ein bisschen versucht zu übertragen, dann wäre das so ein bisschen was wie Vulnerability Scanning. Das heißt man weiß vielleicht auch schon so in etwa, wie man welches Fenster am besten drückt, damit es irgendwie aufspringt. Und das machen die eben.

00:10:47 Lars Wallenborn: Und in welchem Stadtteil man das macht, oder sogar bei welchem Haus man das machen will und solche Dinge.

00:10:51 Christian Dietrich: Genau. Vielleicht kann man an der Stelle sagen, also das wirkt alles jetzt nicht virtuos, aber wir können festhalten: Diese Akteure beherrschen die Klaviatur der Offensivtechniken.

„Zwei schadhafte Smartphone Apps mit dem Namen „Seoul Bus Tracker” und „HanMail“ werden entwickelt und jeweils ein paar Tage später veröffentlicht. Die entsprechenden App Stores verhindern aber eine Verbreitung. Der Agent scannt die Webseite des Komitees für Sport und Olympische Spiele Korea nach Schwachstellen. Das gleiche passiert auch bei einem koreanischen Energieunternehmen und einem koreanischen Flughafen. Am 19. Dezember erlangen die Agenten Zugriff auf das Netzwerk eines Partners der Olympischen Spiele. Drei Tage später auf das Netzwerk eines weiteren Partners. Sie erzeugen außerdem eine Kopie von Teilen der Webseite des koreanischen Landwirtschaftsministeriums. Dann erhält ein Agent zum ersten Mal Zugriff auf einen Computer in der Zielumgebung der Olympischen Winterspiele.“

00:11:54 Lars Wallenborn: So, das war jetzt also immer noch Dezember. Da wurden jetzt zwei Smartphone Apps entwickelt. Das finde ich ganz kurios. Vor allem weil das halt auch so erfolglos ist, und vor allem weil es auch zwei sind. Also man entwickelt irgendwie eine Smartphone App und bringt die auf dem App Store raus, die wird sofort geblockt und dann entwickelt man noch eine Smartphone App, bringt die wieder auf dem App Store raus, und die wird wieder sofort geblockt. Also erst mal Kudos zu den entsprechenden Leuten, die dafür gesorgt haben, dass die so schnell geblockt wurde. Aber da ist ja ein System hinter. Also da hat wahrscheinlich sich schon jemand überlegt, es lohnt sich, diese Apps zu entwickeln. Und ich vermute, das liegt so daran, dass – man könnte sagen, Handys sind der neue Computer. Also es gibt ja auch Leute heutzutage, die haben halt überhaupt keinen Computer mehr. Die machen all ihre Kommunikation im Internet über ihr Smartphone. Ja, also E-Mails verschicken und irgendwelche Nachrichten und so. Also das ist nicht so ganz mein Fall. Also ich finde diese Handy Tastaturen einfach zu klein um sie zu bedienen. Aber ja, Handys spielen schon eine sehr zentrale Rolle und haben ja vor allem eine ganze Menge sehr leckere und interessante Daten für Angreifer. Also Handys haben immer direkt Geolocation Funktionalität, und darüber läuft dann auch immer viel Kommunikation ab, das heißt also man kann auch in die privatesten privaten Nachrichten von Leuten rein gucken.

00:13:07 Christian Dietrich: Ja, trotzdem finde ich, ist das irgendwie merkwürdig. Also man könnte jetzt sagen, irgendwie klar, so eine App zu entwickeln, das ist eben wieder eine weitere Technik in dieser Klaviatur der Offensivtechniken. Aber man kann sich natürlich schon fragen: Okay, in welche Richtung geht das ganze hier eigentlich gerade? Denn wenn ich so eine App entwickle, und es auf diese Daten absehe, wie du gerade beschrieben hast, dann würde sich das ja besonders lohnen, wenn ich über Close Access Operationen rede. Das heißt, wenn ich es auf bestimmte Leute abgesehen habe und denen möglicherweise vielleicht auch irgendwie physikalisch nahe kommen will oder wissen will, wo die sind. Das sind Dimensionen, die können wir, glaube ich, hier nicht abschließend bewerten. Aber es ist eben zweifelsfrei belegt, dass diese Apps entwickelt wurden. Der zweite Punkt ist, dass in diesem Zeitfenster das erste Mal Zugriff auf Computer in der Zielumgebung passierten. Das heißt also, jetzt sechs Wochen nach dem Kickoff haben wir den ersten Zugriff in der Zielumgebung.

00:14:05 Lars Wallenborn: Cool würde ich sagen. Also sechs Wochen um Zugriff auf die Olympischen Spiele zu bekommen – also ich könnte das nicht, sage ich mal.

00:14:12 Christian Dietrich: Ja genau, man könnte jetzt denken: Mission accomplished! Ganz soweit sind wir ja noch nicht. Man muss sich da vielleicht auch noch mal eins vergewissern: Nur in der Zielumgebung zu sein, heißt ja noch nicht, dass man am Ziel ist, ja in Bezug auf die Mission die man da vielleicht hat. Das heißt, jetzt hat man irgendeinen Computer bei einem – beziehungsweise mehreren der Dienstleister haben wir ja gehört – kompromittiert als Angreifer, und na ja, jetzt muss man halt so ein bisschen gucken: Okay, was gibt es da zu holen und wie durchwandere ich im Prinzip die Zielumgebung, bis ich an dem Ort bin, wo ich wirklich hin will.

00:14:45 Lars Wallenborn: Genau. Und das Durchwandern ist halt super wichtig, weil wenn ich nur den Computer, den ich jetzt kompromittiert habe zum Beispiel, wipe, dann kriegt das vielleicht jetzt noch nicht mal jemand mit. Und wenn man so eine Wiping Kampagne macht, dann zielt man immer auf einen großen Impact. Dann zielt man immer auf einen Knall ab. Also man will, dass das in die Medien kommt. Man will, dass da Leute nicht mehr ihre Arbeit machen können und so weiter. Und wenn man einfach nur einen Computer kaputt macht, das ist ganz normal, manchmal gehen Computer auch kaputt, ohne dass es einen Malware Angriff gibt. Und damit können Firmen ziemlich gut umgehen heutzutage.

00:15:17 Christian Dietrich: Okay. Das heißt, der Akteur ist jetzt in der Zielumgebung auf mindestens einem Rechner – wahrscheinlich sind mehrere kompromittiert – aber noch nicht so viele. Und jetzt ist die Frage: Was sind denn jetzt die nächsten Schritte?

„Weitere Spear-Phishing E-Mails werden verfasst. Wieder wird der Absender gefälscht. Dieses Mal sieht die E-Mail so aus, als ob sie von Koreas nationalem Anti-Terror Zentrum käme. In Wirklichkeit hat sie erneut eine schadhafte Word-Datei im Anhang, die den Computer des Empfängers infizieren soll. Die Malware tarnt ihre Kommunikation dabei als Bild, mittels Invoke PSImage. Einer Software, die nur wenige Tage vorher auf GitHub veröffentlicht wurde.“

00:15:57 Lars Wallenborn: Auf jeden Fall busy, diese Angreifer. Also immer weiter Spear-Phishing E-Mails schicken ist quasi so, ich sage mal, die langweiligste Art und Weise, wenn man mich fragt, wie man eine Organisation angreift. Also ganz viele Spear-Phishing E-Mails schicken, in der Hoffnung, dass irgendeine davon mal angeklickt und ausgeführt wird.

00:16:16 Christian Dietrich: Genau, ich meine das Interessante ist auch, die haben ja eigentlich schon Zugriff, aber die schicken trotzdem weiter Spear-Phishing E-Mails. Also man versucht sich möglicherweise Fall Back Möglichkeiten zu schaffen…genau, also man macht einfach immer weiter…

00:16:26 Lars Wallenborn: Und diese Sache mit Invoke PSI finde ich hier besonders interessant. Das war so ein Tool, das ist damals – also wir sind ja jetzt irgendwie Weihnachten herum, im Dezember – und Mitte Dezember hat das irgendjemand auf Twitter gepostet. Wir können den Tweet nachher auch mal in die Shownotes tun. Das war jetzt keiner, der mit den Angreifern zu tun hat oder so. Da hat einfach jemand ein Tool entwickelt, um mit Power Shell – das ist so was, das ist bei Windows immer dabei, so eine Scripting Sprache – um mit Power Shell in Bilddateien Schadsoftware oder bösartige Komponenten zu verstecken.

00:16:56 Christian Dietrich: Steganografisch, glaube ich.

00:16:58 Lars Wallenborn: Ja, ich glaube auch. Und dieses Tool hat er halt veröffentlicht, so Open Source auf GitHub, und hat dann darüber getwittert. Und jetzt kurz danach wird das schon eingesetzt hier. Das hat jetzt natürlich viele Implikationen. Also erst mal vermute ich, dass dieser Agent der dahinter steckt, das wahrscheinlich – so wie ich auch – auf Twitter gelesen hat. Und das dann heruntergeladen hat, und gedacht hat: Das ist eine coole Idee, das probiere ich jetzt mal aus. Und ja, hat das dann einfach benutzt.

00:17:25 Christian Dietrich: Gewisse interessante Risikobereitschaft eigentlich, das in so einer laufenden Mission irgendwie so zu probieren.

00:17:31 Lars Wallenborn: Ja gut, andererseits heißt es aber auch, dass man am Puls der Zeit bleibt. Also ich glaube, das ist halt auch wichtig, als Angreifer, dass man immer wieder auch neue Tools ausprobiert und neue Sachen macht und…ja.

00:17:41 Christian Dietrich: In einer laufenden Mission? Na ja, vielleicht hat man in den 8 Tagen auch irgendwo getestet, das kann natürlich sein.

00:17:46 Lars Wallenborn: Irgendeine Mission läuft immer, also ich meine…vermute ich zumindest. Ja und das Zweite, das soll jetzt nicht irgendwie die Moralkeule sein, aber Open Source, wenn man so was in Open Source veröffentlicht, dann heißt das halt schon, dass es wirklich öffentlich ist, und dass es jedem zur Verfügung steht auch. Jetzt in dem Fall hier den Angreifern. Also man könnte sagen, die Person hat dann da halt ein Tool veröffentlicht – ich will da keinen Vorwurf machen – das ist halt…Open Source ist Open Source. Ich bin da eher so ein bisschen liberal. Aber ja, das kann dann halt schon passieren, dass es dann eingesetzt wird, um so ein weltweites Event zu beeinflussen, wie zum Beispiel die Olympischen Spiele.

00:18:21 Christian Dietrich: Okay. Wie geht die Geschichte weiter?

„Der Agent veröffentlicht die kurz vorher entwickelte Hmail App auf dem Google Play Store. Die App wird auf mindestens 47 Accounts installiert, bevor sie geblockt wird. Das Versenden von E-Mails mit gefälschtem Absender geht weiter. Dieses Mal geraten die Athlet:innen selbst ins Fadenkreuz, mit einem Betreff von „Accommodation Conditions in Hotel.“ In der Zielumgebung der Olympischen Winterspiele schaffen es die Agenten, einen Administrationsaccount zu ergattern. Sie nutzen diesen Account, um auf mehr als 16.000 Computern in der Zielumgebung Passwörter abzugreifen. Insgesamt bekommen sie somit die Zugangsdaten zu 400 verschiedenen Accounts. Der Agent exfiltriert wichtige Unterlagen zum Aufbau des Netzwerks. Unter anderem Dateien, mit dem Namen „PyeongChang 2018 – Network architecture.docx“ oder „PyeongChang LAN Network Diagram.vsd“. Der Agent verschickt drei weitere Spear-Phishing E-Mails, die behaupten, eine Bewerbung auf eine Stelle als Zeitnehmer im Stadion zu enthalten. Tatsächlich aber enthalten sie aber bösartige Makros, die die im November registrierte Domain msrole.com verwenden. Auf diese Weise wird versucht, weitere Computer zu infizieren. Diesmal in einem anderen Unternehmen, nämlich einem Zeitmessungsunternehmen.“

00:19:51 Christian Dietrich: Okay, was haben wir hier gehört? Die machen mit dieser Smartphone App Entwicklung immer noch weiter. Und nachdem sie zweimal gescheitert sind, diese App in den entsprechenden Store zu bringen, da in den Play Store zu bringen, und sie schaffen es, dass die App 47 mal heruntergeladen wird. Also wahrscheinlich auf 47 verschiedenen Geräten zum Einsatz kommt.

00:20:11 Lars Wallenborn: Ja gut, aber ich würde mal sagen, um eine App zu entwickeln, sind 47 jetzt nicht so erfolgreich. Also ich würde sagen, die ersten beiden Versuche diese App im Play Store zu vertreiben waren erfolglos und der dritte war relativ erfolglos.

00:20:25 Christian Dietrich: Die Frage ist, welche 47 damit infiziert wurden. Also wenn du quasi irgendwie das Steuerungskomitee, das IOC oder so was…ja, dann hast du die richtigen 47. Ja, vielleicht reicht dir das ja. Aber das wissen wir nicht. Darüber hinaus, also wir sehen, es geht immer noch weiter mit Spear-Phishing E-Mails, also auch jetzt wo die Angreifer Domain Controller Admin Access haben – das ist also die höchste Stufe des Zugriffs, mehr oder weniger in so einer Windows Umgebung –  machen die trotzdem weiter und verschicken diese Spear-Phish E-Mails und sie richten ihre Angriffe eben auch auf andere Unternehmen.

00:20:57 Lars Wallenborn: Und was sie mit diesem Domain Controller Access hier anscheinend gemacht haben, ist, dass sie Credentials hier abgreifen. Also man kann sich einen Domain Controller vorstellen, wie so einen Computer, einen Administrationscomputer für Computer. Also das ist ein Computer im Netzwerk, der kann quasi Befehle auf allen anderen Computern ausführen und die generell einfach administrieren. Das heißt also, das ist ein richtig guter Ort, um auf all diesen Computern, die unter dem Domain Controller quasi darunter hängen, zum Beispiel Passwörter und User Accounts und so was alles abzugreifen. Und das machen die hier bei richtig vielen Computern. Ja, also…

00:21:29 Christian Dietrich: 16.000!

00:21:30 Lars Wallenborn: Ich würde sagen: Fette Beute. Also das war sehr erfolgreich. Und es ist jetzt erst Januar.

00:21:34 Christian Dietrich: Genau. 16.000 Computer und sie haben 400 verschiedene Zugangsdaten. Das ist halt auch eine Nummer. Also es geht hier nicht um einen Account, den man mal irgendwie blocken müsste. Nee, du müsstest hier 400 Accounts blocken, wenn du die Angreifer da irgendwie aussperren wolltest.

00:21:51 Lars Wallenborn: Ja, und vor allem müsstest du auch erst mal merken, dass diese 400 Accounts geklaut wurden. Also das ist natürlich auch die Herausforderung.

00:21:56 Christian Dietrich: Und du müsstest eben auch den Domain Controller Zugang sperren. Was bedeutet, dass deine legitimen Administratoren wahrscheinlich gar nicht mehr so einfach Zugriff auf diese Infrastruktur haben. Das heißt, jetzt kann man sagen, ist ein Großteil der Infrastruktur kompromittiert. Und nochmal zur Erinnerung, wir sind jetzt am 12. Januar. Das heißt also einen knappen Monat vor Eröffnung der Spiele. Soweit könnte man sagen, läuft alles nach Plan.

„Die Agenten verschicken eine weitere Spear-Phishing E-Mail an einen auf der Sponsorenseite aufgeführten Partner. Außerdem gehen weitere 20 E-Mails an das koreanische Anti-Terror Zentrum. Ein Agent registriert eine E-Mail Adresse, die der Adresse des Chefs, des eben erwähnten Zeitmessungsunternehmen nachempfunden ist, und verwendet sie, um E-Mails an 13 Adressen eben dieses Zeitmessungsunternehmens zu verschicken. Sie alle enthalten einen Link auf eine mit Malware infizierter Datei, mit Namen bonuses.xls. Am Tag der Eröffnungsfeier wird um 18:24 Uhr Ortszeit, etwa 1,5 Stunden vor Beginn der Feierlichkeiten die zerstörerische Schadsoftware in die Zielumgebung übertragen, aber noch nicht aktiviert. Achtzehn Minuten vor Beginn der Feier, um 19:42 Ortszeit, wird diese Wiper Malware in der Domain verteilt und aktiviert. 23 Minuten nach Beginn der Eröffnungsfeier sucht der Agent aktuelle Nachrichten rund um das Zeiterfassungsunternehmen und einen russischen Server aus. Die Zuliefererfirmen für IT und das Zeiterfassungsunternehmen melden seltsames Verhalten und Ausfälle ihrer Systeme.“

00:23:38 Lars Wallenborn: Genau. Das ist jetzt der Moment, wo die Bombe geplatzt ist. Also diese Malware wurde dahin übertragen und ausgeführt. Das ist so die Kurzzusammenfassung. Aber hier ist was passiert, das ist vielleicht nicht so ganz klar bei so einem offensiven Angriff. Ich meine, man könnte sich fragen: Warum wird diese Wiper Malware erst so kurz vorher dahin übertragen? Und auf der anderen Seite könnte man auch sagen, Na ja, warum wird sie – Computer sind ja super schnell und Internetverbindungen sind auch schnell – warum wird sie ganze 17 Minuten vorher übertragen, wenn es irgendeinen Grund dafür gibt, sie nicht zu früh zu übertragen? Warum macht man es dann nicht genau in dem Moment wo man sie ausführen will?

00:24:10 Christian Dietrich: Also drei Sekunden vorher. Und das ist super spannend. Weil genau diese Balance muss der Angreifer hier natürlich finden. Denn er darf nicht zu früh sein, sonst riskiert er, dass sein Wiper entdeckt wird, und gar nicht irgendwie aktiv werden kann. Aber er darf halt auch nicht zu spät kommen. Sonst hat er irgendwie sein Ziel verfehlt.

00:24:30 Lars Wallenborn: Ja, und er darf auch nicht zu spät kommen, weil eventuell läuft ja noch etwas schief. Ich meine, das mit den Computern ist schon kompliziert genug, wenn alle zusammenarbeiten wollen und hier arbeitet ein Software Entwickler, sage ich mal – in dem Fall der Angreifer – gegen das System, auf dem er sich installieren möchte. Das heißt, da kann auch noch alles mögliche schief gehen. Und dann hat man das, ich weiß nicht, für das falsche Betriebssystem kompiliert und muss es nochmal übertragen. Da sollte man sich auch so ein bisschen Zeit nehmen um noch irgendwelche Bugs zu fixen.

00:24:54 Christian Dietrich: Man kann vielleicht nochmal betonen, dass man so was nicht testen kann. Also diese Systeme, in der Komplexität, kann man nicht wirklich abbilden. Also klar, man kann die Ausführung einer Wiper Instanz testen, aber man kann halt nicht wirklich testen, wie sich so eine Infrastruktur verhält. Schon gar nicht, wenn gerade irgendwelche Spiele und Eröffnungsfeiern laufen oder vorbereitet werden. Das kann man nicht wirklich vorher evaluieren oder prüfen. Das heißt, in dem Moment hat man tatsächlich auch ein gewisses Risiko. Und das scheint hier ja aus Angreifer Perspektive geklappt zu haben. Man hat es also geschafft, den Wiper da in die Zielumgebung zu bringen und auch zu verteilen, sodass er eben auf verschiedenen Rechnern dann zugeschlagen hat.

00:25:38 Lars Wallenborn: Und was hier auch noch besonders nasty ist, ist, dass die Angreifer das mit der Eröffnungsfeier getimed haben. Also der Plan war wahrscheinlich, da irgendwie so einen Wiper auszuführen, dann gehen diese ganzen Computer während der Eröffnungsfeier irgendwie kaputt – wahrscheinlich in der Hoffnung, dass es dann besonders medienwirksam ist.

00:25:53 Christian Dietrich: Ja. Man wollte also sicherstellen, dass die Welt zuschaut, wenn das Chaos beginnt. Wenn wir mal kurz zusammen fassen: Was haben wir aus dieser Vorbereitungsphase gelernt? Also wir haben gelernt, Spear-Phishing geht immer…

00:26:04 Lars Wallenborn: Ja, und zwar richtig viel. Also je mehr Spear-Phishing desto besser. Immer weiter Spear-Phishing. Also egal, wenn du nicht weißt – when in doubt – Spear-Phishing.

00:26:12 Christian Dietrich: Es gibt mehrere, ich sag mal Baustellen, gleichzeitig. Das heißt also mehrere Aktionsstränge seitens des Akteurs. Es wurde gerade mal drei Monate vor der Eröffnungsfeier angefangen mit dieser Mission. Einen Monat vorher – Pi mal Daumen –  war man drin, war man in der Zielumgebung drin. Und zwei Wochen vorher hat man dann das Credential Dumping gemacht auf den 16.000 Rechnern mit 400 Accounts, die man dann eben zum Zugriff hatte. Eineinhalb Stunden vorher wurde die Malware in das Zielnetz geladen, etwa 20 Minuten vorher wurde sie verbreitet und zur Eröffnung der Eröffnungsfeier schlug sie dann eben los.

00:26:47 Lars Wallenborn: Also selbst wenn man sich damit beschäftigt – und retrospektiv weiß man ja, was dann passiert ist – bleiben so ein paar Fragen offen. Zum Beispiel: Warum diese Smartphone Apps, die so schlecht funktioniert haben? Und auf wen hatte man es damit abgesehen? Also das ist ein riesen Fragezeichen für mich.

00:27:07-9 Christian Dietrich: Man könnte sich natürlich auch fragen, war es eigentlich von Anfang an klar, dass das eine Sabotage Aktion wird? Ich würde mal vermuten ja, weil die Wiper Entwicklung auch so früh begonnen hat.

00:27:17 Lars Wallenborn: Gut, aber Wiper auf Smartphones? Klar, also ich meine Wiper auf Smartphones ist ja immer technisch…

00:27:22 Christian Dietrich: Nein, nicht auf Smartphones.

00:27:22 Lars Wallenborn: Ja, ist schon klar. Also Wiper auf Smartphones? Man könnte ja sagen es ist eine Wiper Aktion, dann will man vielleicht mit diesen Smartphone Apps auch Smartphones wipen. Das geht erst mal technisch halt natürlich nicht, das wissen wir ja beide, aber man kann auf dem Smartphone ganz andere Sachen machen. So Screen Locker irgendwie schreiben, das sind dann so Fenster, die sind dann so groß wie der ganze Bildschirm des Smartphones und verhindern, dass das Smartphone noch funktioniert. Das wäre halt auch schon, wenn man das auf richtig vielen Geräten installiert, wahrscheinlich schon auch ein krasser Impact. Weil für viele Leute ist das Smartphone das Ding. Also wenn das Smartphone kaputt ist, dann ist der Tag oder die Woche gelaufen. Und na ja, wenn jetzt zu den olympischen Spielen gehen heißt, dass das Smartphone kaputt ist, hätte das natürlich auch viel Impact. Aber wie gesagt, da stehe ich sehr im Dunkeln. Ich weiß nicht, was diese Apps konnten oder können wollten, und die waren ja jetzt auch nicht so erfolgreich. Aber ansonsten stimme ich dir zu. Das war glaube ich von Anfang an als destruktive Aktivität geplant. Vielleicht nicht nur, du hast ja auch gesagt, es gibt da so verschiedene Handlungsstränge, die die verfolgen. Aber insbesondere ist die Wiper Malware schon ziemlich früh in der ganzen Operation angefangen worden zu entwickeln, und das würde ich sagen, spricht dafür, dass zumindest eine Komponente des Angriffs, destruktiv sein sollte.

00:28:30 Christian Dietrich: Okay. Wir haben verstanden, die Angreifer wollen möglichst nah ran kommen, an die TV Übertragung und das ganze eben so versuchen negativ zu beeinflussen. Aber zurück zur Story, und wir wechseln jetzt mal so ein bisschen die Perspektive. Schauen wir uns doch mal an, wie das für Betroffene sich gestaltete:

„Practice makes perfect. So, before the opening ceremony of the Pyeongchang Winter Olympic Games, we have prepared. We had worried about the Cyber Attacks by the North Korean hackers. „

Wir haben hier Wansik Kim gehört, ein Südkoreaner, nämlich der Deputy Manager des International Broadcast Centers. Der sozusagen verantwortlich oder mitverantwortlich war für die Medienübertragung.

00:29:22 Lars Wallenborn: Und insbesondere hat er so eine verteidigende Rolle in dieser ganzen Olympischen Spiele Situation gespielt. Und er hat gerade, in diesem Ausschnitt den wir eingespielt haben, ja auch gesagt „Practice make perfect.“, also Übung macht den Meister. Die haben sich also vorbereitet. Die haben sich halt vorbereitet auf einen Angriff von nordkoreanischen Hackern, also diese beiden Länder sind ja historisch…haben ja eine etwas schwierige Beziehung, und da wollte man halt vorbereitet sein. Und dann hat man wahrscheinlich so Drills gemacht und so weiter. Und irgendwann ist es dann wahrscheinlich aufgefallen, dass da dieser Wiper sein Unwesen treibt und dann na ja, war es keine Übung mehr.

00:29:59 Christian Dietrich: Und da merkt man halt, Südkorea ist halt ein hochtechnologisches Land, die können das schon vernünftig einschätzen. Die haben realistische Bedrohungen auch schon in der Vergangenheit gehabt, zum Beispiel in Form von Cyber Angriffen, wie du  ja auch gerade erwähnt hast. Zum Beispiel aus Nordkorea, aber mutmaßlich natürlich auch aus vielen anderen Staaten. Und das ist der Grund, dass die eben versucht haben, sich vernünftig vorzubereiten. Trotzdem gab es da einen gewissen Effekt. Und man muss sagen, außerhalb der Umgebung bei den Olympischen Winterspielen haben es auch Leute gemerkt. Allen voran zum Beispiel Sicherheitsforscher.

00:30:31 Lars Wallenborn: So wir haben jetzt auch mal versucht so ein bisschen zusammenzutragen, was denn öffentlich so an Impact überhaupt herausgekommen ist zu dem Zeitpunkt. Und da gibt es erst mal so ein YouTube Video von so einer Sicherheitsfirma Talos, die hat irgendwie in dem YouTube Video erwähnt, dass die Website nicht erreichbar war. Dass vor Ort auf den Olympischen Spielen Tickets nicht ausgedruckt werden konnten und einige Besucher eben keinen Zugriff auf die Event Informationen hatten, die da irgendwie verteilt wurden. Was auch wohl irgendwie war, dass in irgend so einem Journalismus Center das Wi-Fi nicht funktioniert hat – ah ja, Main Press Center, heißt das irgendwie und das wohl für mehrere Stunden.

00:31:09 Christian Dietrich: Okay. Das ist aber alles irgendwie nicht wirklich dramatisch. Also wahrscheinlich hat die Übertragung an sich immer noch funktioniert. Das ist ja wahrscheinlich so mit das Wichtigste, also die Millionen die da vor den Bildschirmen sitzen, zu Hause, die sehen also irgendwie noch was. Das Pyeongchang Organizing Committee hat dann später auch verlautbart, dass 50 Server impacted wurden, also betroffen waren durch dieses Wiping. Da waren allerdings Aktiv Directory und Datenbankserver dabei. Also man kann sagen, dass waren dann auch schon durchaus auch zentrale Server, die da betroffen waren. Insgesamt gab es wohl etwa 300 Server. Genau. Lass uns vielleicht mal noch weiter reinzoomen, nämlich in die erste Nacht. Also um 20:00 Uhr Ortszeit beginnt die Eröffnungsfeier, um 19:42 Uhr, also etwa knapp 20 Minuten vorher wurde der Wiper aktiv. Was ist dann eigentlich passiert?

00:31:59 Lars Wallenborn: Ja, dann waren wohl am Anfang direkt neun Domain Controller betroffen, also die wurden dann wahrscheinlich irgendwie gewiped. Und was man dann halt machen kann, so als Verteidiger, ist die neu aufzusetzen.

00:32:09 Christian Dietrich: Erstmal ist ja vielleicht völlig unklar, warum so Domain Controller auf einmal ausfallen, oder? Ist das sofort klar, dass das irgendwie eine Malware ist? Wahrscheinlich nicht unbedingt?

00:32:19 Lars Wallenborn: Nein, aber Domain Controller fallen, glaube ich, nicht so oft…also anders, wenn dir der Domain Controller häufiger mal so ausfällt, dann bist du glaube ich eh an einem sehr schlechten Ort. Und ich glaube die waren an einem guten Ort. Also die haben sich glaube ich auf viel vorbereitet.

00:32:31 Christian Dietrich: Okay, aber du könntest vielleicht auch denken, die sind vielleicht überlastet oder keine Ahnung. Es ist schon wichtig, du weißt, glaube ich, in dem Moment noch nicht, dass du hier einen Wiper Angriff gerade eigentlich hast. Sondern was machst du? Du setzt Ersatz Domain Controller auf, und versuchst das Problem dadurch vielleicht dadurch in den Griff zu bekommen.

00:32:46 Lars Wallenborn: Aber was da wohl passiert ist, ist, dass sie das Problem gar nicht in den Griff bekommen haben. Also die haben die Domain Controller ausgetauscht, und durch neue ersetzt, neu installiert, und irgendwie sind dann andere wieder kaputt gegangen und so weiter. Und dann hat man halt kurz vor Mitternacht eine relativ drastische Entscheidung getroffen, nämlich dieses ganze Netz vom Internet zu trennen. Und das ist relativ drastisch, weil das halt viele, viele Implikationen hat. Das heißt, dass man das Netzwerk nur noch von innen administrieren kann zum Beispiel…

00:33:12 Christian Dietrich: Die ganzen Journalisten können nicht mehr nach Hause mailen oder telefonieren…

00:33:16 Lars Wallenborn: Genau, also da spielt man quasi – wenn man zu dem Zeitpunkt schon denkt, dass es sich um einen Angreifer handelt, der einen destruktiven Angriff durchführen möchte – dann spielt man dem quasi in die Hände, weil man selber auch destruktive Entscheidungen trifft. Nämlich die Internetverbindung selbst zu trennen. Kann aber natürlich auch eine gute Idee sein, falls der Akteur dann noch aktiv ist auf den Computern, ja also den buchstäblichen – oder in dem Fall den virtuellen –  Stecker zu ziehen, ist auf jeden Fall schon mal ein Schritt, der dafür sorgt, dass die gesamte Situation so ein bisschen deterministischer wird. Also man hat nicht auch noch jemanden, der da aktiv Dinge auf den Computern macht.

00:33:52 Christian Dietrich: Ja, weil man eben verhindert, oder hofft zu verhindern, dass der Angreifer die Malware überhaupt noch kontrollieren kann. Die Angreifer sind ja nicht vor Ort, sondern sie kontrollieren eben die Malware aus der Ferne, eben über das Internet. Und diese Möglichkeit will man ihnen halt nehmen, in der Hoffnung, dass sie dann nicht eben sich weiter verbreitet. Aber, die Malware agiert eben autonom.

00:34:11 Lars Wallenborn: Die Malware braucht überhaupt keinen Akteur, der sie steuert. Also…

00:34:15 Christian Dietrich: Zu dem Zeitpunkt.

00:34:16 Lars Wallenborn: Genau. Zu dem Zeitpunkt. Die wurde ausgebracht und hat von da an quasi autonom ihr Werk verrichtet. Und was die Malware auch gemacht hat, dass sie sich auch selber in dem Zielnetz weiter verteilt hat. Und auch neue Computer infiziert hat und auf denen dann auch wieder Dateien zerstört hat und so weiter.

00:34:31 Christian Dietrich: Was es aber schon verhindert, ist, dass die Akteure jetzt irgendwie weitere Malware nachschieben können oder irgendwie halt das Verhalten der Malware beeinflussen können. Das heißt, auch die Akteure müssen sich jetzt drauf verlassen, dass das, was sie da vorher hinein programmiert haben, an Verhalten in die Malware, dass das halt irgendwie wirkt.

00:34:48 Lars Wallenborn: Und jetzt nerde ich gerade mal ein bisschen über das, was die Malware da gemacht hat. Also da gab es irgendwie viele Theorien darüber, was da passiert ist. Wir haben uns das jetzt mal…ich habe mir das jetzt noch mal selber angeguckt und so, was nämlich ganz interessant ist, wenn man sich Samples, wenn man sich Dateien von dieser Malware anguckt, und dann einfach mal guckt, was sind da so für Zeichenketten drin. Dann fällt einem auf, da sind so User Namen und Passwörter und so Domain Namen von den betroffenen Organisationen, von den Zielumgebungen in der Malware drin. Und es kann natürlich erst mal daran liegen, oder es liegt wahrscheinlich auch daran, dass der Akteur diesen Malware Samples dann ein Startset an Credentials an Benutzernamen und Passwörtern dann mitgegeben hat. Das liegt aber auch noch daran, dass die Malware nämlich folgendes macht. Wenn die ausgeführt wird, die enthält nämlich noch so ein paar andere Unterdateien, die sogenannten PE Ressourcen. Da sind zwei dabei, die sind dafür da, noch Credentials von dem Computer auf dem sie ausgeführt wird, einzusammeln. Das heißt, diese Malware sammelt auf dem Computer auf dem sie ausgeführt wird, erst mal weitere Benutzernamen-Passwort-Kombinationen ein. Und erzeugt dann eine Kopie von sich selber und erweitert diese Liste, die in ihr drin ist, um diese gerade eingesammelten Benutzernamen und Passwörter. Und verteilt sich dann mit denen weiter im Netzwerk. Und die Intention dahinter ist halt, na ja, ein Computer, der auf andere Computer Zugriff hat, der hat auf die ja wahrscheinlich auch Zugriff. Also der hat da wahrscheinlich auch irgendwie gespeicherte Passwörter und gespeicherte Benutzernamen. Die werden da alle mit eingesammelt. Und bei der nächsten Iteration, wenn die Malware sich auf den nächsten Computern verteilt hat, dann hat die halt jetzt noch mehr von diesen Usernames und Passwords zur Verfügung. Und das kann sie alles alleine machen.

00:36:23 Christian Dietrich: Genau. Das hat sie auch gemacht. Und jetzt würde man eben meinen, alles klar, man kann eigentlich irgendwie aufgeben, Handtuch werfen und man kann nichts mehr machen. Aber so waren die Südkoreaner hier an der Stelle eben nicht drauf. Sondern die haben natürlich eben versucht, den Kampf da weiter zu führen. Die haben um 5:00 Uhr morgens – also die haben die ganze Nacht durchgemacht –  um 5:00 Uhr morgens hatten sie es geschafft, eine Signatur für diese Schadsoftware, also für diesen Wiper, zu schreiben. Die hatten da wohl Unterstützung von einem koreanischen Antiviren Unternehmen, AhnLab. Und mit Hilfe dieser Signatur konnten sie eben die Schadsoftware auf allen Computern erkennen und auch blockieren. Und in dem Moment gab es auch wieder Hoffnung.

00:37:00 Lars Wallenborn: Und jetzt kommt noch das zum Tragen, was wir eben gesagt haben. Das hat jetzt den Vorteil, dass diese Computer nicht mehr mit dem Internet verbunden sind, weil jetzt gibt es eine Signatur für diese Malware, die wird jetzt hoffentlich geblockt von der Antiviren Software die auf den Computern läuft, und der Akteur hat jetzt keine Möglichkeit mehr, noch was anderes hinterher zu schieben. Was die jetzt wahrscheinlich auch gemacht haben, ist dafür zu sorgen, dass der Akteur auch seinen Zugriff verliert, wahrscheinlich indem sie ganz viele Usernames und Passwords resettet haben.

00:37:24 Christian Dietrich: Dieser Wiederaufbau, der war um 08:00 Uhr morgens abgeschlossen. Das ist halt phänomenal. Also das heißt, um etwa 20:00 Uhr am Vorabend beginnt die Eröffnungsfeier, das Chaos nimmt seinen Lauf, um 05:00 Uhr am nächsten Morgen gibt es irgendwie den Hoffnungsschimmer am Horizont, und um 08:00 Uhr morgens läuft die komplette Infrastruktur im Prinzip wieder so, wie sie vorher lief. Sodass man also sozusagen mit Tagesanbruch eigentlich schon fast nicht mehr gemerkt hat, dass da in der Nacht vorher so ein destruktiver Sabotageakt passiert ist.

00:37:56 Lars Wallenborn: Man könnte sich jetzt fragen, war das jetzt ein erfolgreicher Angriff oder nicht?

00:38:00 Christian Dietrich: Ganz genau. Das hängt davon ab, was der Angriff wirklich bezwecken sollte. Vermutlich sollte es bezwecken: Die ganze Welt schaut zu, und dann fällt irgendwie die Medienübertragung aus. Schwarze Bildschirme, die Leute an den Fernsehern wissen nicht, was los ist. Aber diesen Ausfall der Medienübertragung, den gab es nicht, oder zumindest war der wiederum nicht medienwirksam. Es waren wahrscheinlich nur lokal die Journalisten betroffen, die haben den Ausfall irgendwie mitbekommen. WLAN ging nicht, Tickets konnten irgendwie nicht gedruckt werden, aber das schlägt, glaube ich, nicht so wirklich große Wellen. Und insbesondere die Tatsache, dass es eben am nächsten Morgen schon wieder alles funktioniert hat und die Spiele selbst, also die sportlichen Wettkämpfe, scheinbar eben ohne jede Beeinträchtigung starten konnten, ja, das lässt mich eigentlich so ein bisschen eher schließen, dass die Operation eigentlich fehlgeschlagen ist. Aber Lars, ich meine, mal ganz ehrlich, wenn man das mal so ein bisschen aus der Distanz betrachtet, das machen doch keine Leute mit Verstand? Oder? Also ich meine, warum reagieren die Angreifer nicht?

00:39:02 Lars Wallenborn: Ja, ich weiß es nicht. Ich steck da in deren Schuhen nicht. Also, ich meine, was will man denn auch machen? Also man hat jetzt Monate und Wochen gebraucht, um Zugriff auf irgendwelche Systeme zu kriegen. Jetzt kann man nicht innerhalb von einem Tag in dem das jetzt nicht geklappt hat, was man versucht hat, nochmal Zugriff auf irgendwelche Systeme kriegen. Insbesondere nicht, in der Situation, wo jetzt quasi das Cyber-Immunsystem der Olympischen Spiele schon so aktiviert ist, dass da jetzt wahrscheinlich jeder noch so kleine Netzwerkalarm genau nachverfolgt wird und so weiter.

00:39:41 Christian Dietrich: In einem Film würde man jetzt sagen: Da muss man halt noch härter hacken.

00:39:47 Lars Wallenborn: Genau. Dazu kommt aber noch etwas ganz anderes, was ich an Wiper Angriffen immer ganz interessant finde. Also als Angreifer hat man ja jetzt ein Strategie-inhärentes Problem. Also in dem Moment, wo man nämlich erfolgreich ist, beim Ausführen des Angriffs, hat man überhaupt keine Ahnung mehr darüber, ob man erfolgreich war. Also, aus der Angreifer Perspektive ist das ja quasi so eine Blackbox, so ein Netzwerk, und jetzt verliert man plötzlich Zugriff. Und das kann jetzt entweder daran liegen, dass man erwischt wurde und man ausgesperrt wurde, oder dass diese Wiper Malware so erfolgreich war, dass in dem Netzwerk halt kein Computer mehr funktioniert und ich deswegen den Zugriff verloren habe. Also das ist eine ganz schwierige Situation als Angreifer, da überhaupt noch einzuschätzen, ob das erfolgreich ist. Und ich vermute mal, der einzige Weg, den man da hat, ist, dass man guckt, ob irgendwelche News…ob die Bild Zeitung darüber schreibt, dass die Olympischen Spiele gehackt wurden.

00:40:45 Christian Dietrich: Na ja man könnte es theoretisch natürlich anders entwerfen. Man könnte zum Beispiel den Wiper durchaus so programmieren, dass er vielleicht ab einer bestimmten Menge an Systemen, eben vielleicht nicht komplett aktiv wird. Also das heißt, man könnte, wenn man das wirklich komplett durchdenkt, was dann passiert, in dem Moment wo so ein Wiper da eben so die Infrastruktur plättet, wie du das gerade ja gut beschrieben hast, das könnte man vermutlich schon irgendwie versuchen hin zu bekommen. Aber auch da muss man halt sagen: Klar, gut, du musst die Infrastruktur einfach richtig gut kennen, und du läufst natürlich auch Gefahr, wenn du die falschen Systeme sozusagen am Laufen lässt. Dann erzeugst du eben vielleicht auch keinen Impact. Also es ist gar nicht so trivial wahrscheinlich aus Angreifersicht.

00:41:28 Lars Wallenborn: Nein, überhaupt nicht. Man muss natürlich hier sagen, die Angreifer kannten die Infrastruktur glaube ich ganz gut, das hatten wir auch in einem der Einspieler vorhin gehört. Die haben da auch auf den Zielcomputern so Infrastruktur Diagramme gefunden und so. Die kann man ja dann verwenden. Andererseits ich meine, sich in eine Infrastruktur einzuarbeiten, ist schon genug Arbeit, wenn man bei einer Firma neu anfängt. Und hier hat niemand bei einer Firma neu angefangen. Hier versucht man das zu hacken. Also das heißt, man kann nicht irgendeinen Kollegen, in Anführungszeichen, fragen, wie das hier funktioniert und wie das gemeint ist und so weiter. Da ist einfach schon auch ein Informationsungleichgewicht vorhanden zwischen Angreifer und Verteidiger. Und es ist ja auch richtig, dass die Verteidiger es dann auch ausnützen.

00:42:08 Christian Dietrich: Wenn wir jetzt mal versuchen, so ein bisschen rauszuzoomen. Also wir haben uns jetzt ganz viel auf die Geschehnisse vor Ort fokussiert, und wie sich die Verteidiger da eben irgendwie verteidigt haben, in dieser Nacht. Da muss man eben sagen, auch außerhalb Pyeongchangs wurde das wahrgenommen. Und zwar schon am Samstag, also einen Tag nach der Eröffnungsfeier ist diese Schadsoftware Security Researchern aufgefallen, die gar keinen direkten Bezug zur Organisation der Olympischen Winterspiele hatten. Und man kann sagen, ich glaube im Laufe des Wochenendes war schon klar, es handelt sich um eine destruktive Malware. Also unabhängig von den lokalen Analysen vor Ort, kamen eben die anderen Forscher zu der Einschätzung, es handelt sich hier um einen Wiper. Und der Bezug zu den Olympischen Winterspielen war da.

00:42:54 Lars Wallenborn: So, das heißt, wir haben uns jetzt kurz die Perspektive des Angreifers angeschaut, die Perspektive des Verteidigers angeschaut und jetzt wollen wir mal die Perspektive des Cyber Thread Intelligence Analysten anschauen. Und das ist eine die…ich meine, das ist vielleicht nicht so offensichtlich was die für ein Problem haben. Weil diese Perspektive hat noch ein ganz anderes Problem: Die sind nicht in einem Netzwerk und finden da Malware und müssen verstehen was diese Malware in diesem Netzwerk macht. Sondern die haben irgendwie meistens Zugriff auf irgendeinen Strom von Malware Samples, die so vorbei fliegen, und das sind halt unangenehm viele. Das sind unübersichtlich viele…

00:43:27 Christian Dietrich: Millionen. Pro Tag.

00:43:28 Lars Wallenborn: Ja, genau. Auf jeden Fall viel zu viele, um sich die von Hand irgendwie alle einzeln anzugucken. Und die müssen jetzt halt ein anderes Problem lösen. Die haben jetzt irgendwie Echtwelt Ereignisse, wie zum Beispiel die Olympischen Spiele, und müssen jetzt in diesem Strom von Malware versuchen zu raten, welche Malware betrifft diese verschiedenen Echtwelt Events. Dann, wenn sie glauben, das hat was damit zu tun, was machen sie? Und das ist halt hier wahrscheinlich an dem Wochenende passiert. Da haben wahrscheinlich Leute nicht so auf ihre Work-Life-Balance geachtet – kann man vielleicht auch mal ausnahmsweise machen, wenn  Olympische Spiele sind – ja haben da wahrscheinlich Malware analysiert und auch diesen Bezug zu den Olympischen Spielen hergestellt.

00:44:01 Christian Dietrich: Insbesondere haben sie sich eben die immer interessante Frage gestellt, wer war es? Das heißt, sie haben sich um die Frage der Attribution gekümmert. Und um uns jetzt mal so ein bisschen der Attribution zu nähern, versuchen wir mal, hier so ein paar Hypothesen durch zu spielen. Die erste wäre, dass wir Nordkorea…

00:44:17 Lars Wallenborn: Nordkorea ist ja jetzt hier der Elefant im Raum. Also wir haben ja eben schon in dem Einspieler von Wansik Kim gehört, das ist der Angreifer, gegen den sie sich auch vorbereitet haben, weil sie Cyberangriffe aus Nordkorea erwartet haben.

00:44:30 Christian Dietrich: Und beim ersten Blick hat man auch direkt einen Treffer, denn der Code der Malware, also der Code in dem Wiper, der weist Ähnlichkeiten mit einer Malware auf, die man in der Vergangenheit schon Nordkorea zugeordnet hat. Das heißt, wir sprechen hier von Code Overlap, und zwar in dem Wiping-Modul, also wirklich auch in einem charakteristischen, zentralen Modul dieses Angriffs. So, dann würde man vielleicht erst mal sagen: Okay, Check. Also an der Stelle haben wir hier an der Stelle ein Match.

00:44:56 Lars Wallenborn: Genau, man könnte jetzt sagen, man hat einen technischen Overlap mit Nordkorea.

00:44:59 Christian Dietrich: Die ganze Sache ist aber nicht so einfach. Denn wenn man weiter schaut, und vielleicht so eine Nation wie China irgendwie ins Auge fasst, dann findet man auf einmal auch Ähnlichkeiten. Es gab andere Forscher, die haben nämlich hier Ähnlichkeiten – nicht in dem Wiper Modul, sondern in dem Teil, der das Stehlen von Benutzername und Passwort macht, also in dem Credential Theft Modul – gefunden. Und da eben konkret eine Routine zur Schlüsselerzeugung von AES…

00:45:27 Lars Wallenborn: Nein, das war nicht in dem Credential Theft Modul.

00:45:30 Christian Dietrich: Stimmt.

00:45:30 Lars Wallenborn: Also diese Credential Theft Module, die waren halt enthalten in dieser Malware, in dieser Dropper, in dem darüber stehenden. Und es gab zusätzlich noch – der hat halt diese Module geschützt, über Verschlüsselung, und zwar über AES. Das ist so ein Standard Verfahren zur symmetrischen Verschlüsselung. Und da muss man Keys generieren, und der Code, um diese Keys zu generieren, der hatte Overlap mit Code, den man vorher chinesischen Akteuren zugeordnet hat.

00:46:00 Christian Dietrich: Ah ja stimmt, Lars. Danke, genau, so war das – dann gab es aber noch eine Funktion, die sowohl in der hier betrachteten Malware vorkam, als auch in einer Malware, die eben in der Vergangenheit China zugeordnet war. Es gibt nur ein Problem…

00:46:12 Lars Wallenborn: Und die war überraschend gleich. Die war überraschend gleich.

00:46:16 Christian Dietrich: Es gibt nur ein Problem.

00:46:16 Lars Wallenborn: Da muss man aber auch dazu sagen, die war auch nur dafür da, die Größe von einer Datei zu bestimmen.

00:46:21 Christian Dietrich: Genau.

00:46:23 Lars Wallenborn: Und ich sage mal, wenn du mich jetzt fragen würdest, Code zu schreiben, um die Größe einer Datei zu bestimmen, würde ich Code schreiben und der sieht dann vielleicht genau so aus. Also dieser Code Overlap, den würde ich dieser Tatsache zuschreiben, dass –  also auch der Code Overlap in der AES Schlüsselgenerierung würde ich der Tatsache zuschreiben – dass es für solche Sachen halt nur eine Handvoll Methoden gibt, das zu tun. Und mit bestimmter Wahrscheinlichkeit schreiben zwei völlig unabhängige Leute da was, was ziemlich ähnlich aussieht.

00:46:49 Christian Dietrich: Wir wollen eigentlich Code Overlap in charakteristischem Code haben. Das was wir aber jetzt hier im Fall des Bezugs zu China bisher nur gesehen haben, ist eigentlich relativ generischer Code, in dem wir diesen Code Overlap haben. Und ich meine es war auch so, dieses Credential Theft Modul basierte ja, glaube ich, auch auf Methoden aus Mimikatz. Einem Tool, was wiederum öffentlich verfügbar ist, sodass man hier eigentlich ja eben von sehr generischem Code quasi sprechen kann. Also dieser Code Overlap wiegt vermutlich nicht so wirklich schwer. Schauen wir uns einen weiteren Kandidaten an, der vielleicht hier so ein bisschen ins Fadenkreuz käme: Russland.

00:47:28 Lars Wallenborn: Da haben wir auf jeden Fall einen Overlap im technischen Verhalten, sage ich mal. Also dieses Credential Theft machen und Dumping, und dann das in die Binary schreiben, das was ich vorhin so ein bisschen erklärt habe. Das hatten wir vorher schon mal gesehen, in der NotPetya Malware, die wird Russland auch mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben. Und es gab auch eine Domain, die da in diesem Kontext, ich glaube von den Word-Dateien verwendet wurde: account-loginserv[.]com. Und die hat man auch wohl vorher Russland zugeordnet. Das konnten wir jetzt aber nicht unabhängig bestätigen, das hat jemand im Internet gesagt.

00:48:04 Christian Dietrich: Und jetzt sehen wir hier halt einen ganz interessanten Fall, also wir haben bisher eben maßgeblich Code Overlap gesehen. Aber hier, im Fall von Russland, haben wir also TTP Overlap. Das heißt also Ähnlichkeiten in der Vorgehensweise, aber keine detaillierte Gleichheit sozusagen im Code. Und wir haben aber auch in einer anderen Dimension eine Ähnlichkeit, einen Overlap, nämlich in der Infrastruktur. Das haben wir eben bei den anderen beiden bisher auch noch nicht gesehen. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Nämlich bisher haben im Prinzip viele eigentlich nur auf Code Overlap geachtet. Das heißt, sie wollten Ähnlichkeiten, sehr detaillierte Ähnlichkeiten in der Malware finden und haben eben maßgeblich Malware-Analyse gemacht.

00:48:43 Lars Wallenborn: Und das ist als Techie auch eine naheliegende Sache die man macht, ja. Also man kennt sich mit Malware aus, man kennt sich mit Reverse Engineering aus, dann ist es auch komfortabel und innerhalb meiner Komfortzone, wenn ich mich darauf konzentriere und dann ganz, fast wissenschaftlich fundierte Aussagen machen kann. Oder was heißt fast? Also, dass ich da quasi da so ganz harte Zahlen habe, mit denen ich meine Aussagen untermauern kann und so.

00:49:03 Christian Dietrich: Was ja aber die Attribution insgesamt ein bisschen verlässlicher machen kann, ist eben so eine strukturierte Vorgehensweise, in der man mehrere Dimensionen betrachtet, als nur die Malware…

00:49:13 Lars Wallenborn: Ist hier ja auch dringend notwendig. Weil wir haben bisher drei Akteure gehabt, und bei allen dreien – oder drei Länder gehabt, mit jeweils Akteuren da drin – bei allen dreien haben wir gesagt: Ja, die könnten es eigentlich sein. Es gibt technische Indikatoren, dass die es waren. Also das reicht anscheinend hier nicht.

00:49:26 Christian Dietrich: Genau. Und das können wir jetzt nochmal machen. Also wir fangen jetzt nochmal vorne an, und fragen uns, was denn in den anderen Dimensionen – man könnte hier zum Beispiel das MICTIC Framework von Timo Steffens heranziehen – ja, was wir denn da so an Merkmalen haben. Also Nordkorea, ja, warum ist Nordkorea hier an dieser Stelle für diesen Angriff eigentlich unerwartet. Und da gibt es aus politikwissenschaftlicher Sicht eine ganz interessante Beobachtung, denn Politikwissenschaftler haben gesagt, die beiden Staaten, Nord- und Südkorea, die sind sich so nah, wie seit langem nicht. Also die befinden sich in einer Phase der Annäherung. Die sind sogar gemeinsam ins Stadion eingelaufen bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele. Genau, also an der Stelle wäre es halt unerwartet, wenn jetzt diese Annäherung von einem eben in der Form sabotiert wird, wie wir es hier gesehen haben. Oder versucht wird zu sabotieren.

00:50:16 Lars Wallenborn: Genau. Also das ist schon, also ich sage mal, anscheinend ist es okay, zwischen Staaten die befreundet sind, so ein bisschen Spionage zu machen. Das ist anscheinend so ein Agreement, auf das sich alle geeinigt haben, und das wird wahrscheinlich auch keinem vorgeworfen werden…

00:50:27 Christian Dietrich: Nein. Die werden sich nicht geeinigt haben, die machen einfach.

00:50:30 Lars Wallenborn: Aber Sabotage ist halt was anderes. Das ist halt…das will halt eine Message senden und das ist dann hier die Frage: Welche Message wollte Nordkorea Südkorea dann da senden. Da würde ich sagen, da spricht eher nicht so viel dafür.

00:50:44 Christian Dietrich: Ja, man könnte vielleicht sagen, was sollte Sabotage an dieser Stelle eigentlich für ein politisches Ziel verfolgen? Und ich weiß nicht, ob man dafür eine gute Antwort findet. Es gibt noch mal eine technische Besonderheit und die macht den ganzen Fall glaube ich noch mal richtig interessant aus technischer Perspektive. Und zwar ist das der Byte-gleiche PE-Header.

00:51:03 Lars Wallenborn: Genau, wir hatten vorhin gesagt, es gibt einen Overlap zwischen der Wiper Malware, die hier zum Einsatz gekommen ist, und einer vorher betrachteten Malware aus Nordkorea. Und das kann man sich so vorstellen, so eine Windows-Executable-Datei, die fängt mit so was an, das nennt man den PE Header, und das sieht immer ungefähr gleich aus, aber normalerweise halt eben nicht exakt gleich. Wenn man so eine Datei zweimal kompiliert, dann sorgt das für sehr ähnliche oder vielleicht sogar gleiche PE Header, aber wenn man eine Malware schreibt, später eine andere Malware schreibt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass exakt der gleiche rauskommt, schon eher klein. Aber was in diesem PE Header auch drin ist, sind sogenannte Rich Header. Zumindest wenn man die Microsoft Tool Chain verwendet. Und diese Rich Header, die enthalten eine Beschreibung der Entwicklungsumgebung, die da verwendet wurde.

00:51:49 Christian Dietrich: Und in dem Spezialfall hier war es eben so, dass der Compiler, den man aus diesem Rich Header rekonstruieren konnte, überhaupt nicht zu dem generierten Code gepasst hat. Das heißt, das ist ein Artefakt und das ist auffällig. Konkret ist es nämlich so, dass man im Kontext von Nordkorea maßgeblich ältere Compiler Versionen beobachtet hat. Aber hier in diesem Sample, das bei den Olympischen Winterspielen eingesetzt wurde, waren es eben neuere Compiler und passte eben insbesondere nicht zu den Angaben im Rich Header.

00:52:19 Lars Wallenborn: Genau, also der Code der dabei herauskommt, dafür braucht man relativ viel Erfahrung, das zu erkennen und so…der Code, der dabei rauskommt, der wurde wahrscheinlich mit einem neuen Compiler generiert. Aber der Rich Header, der da drin stand, hat darauf hingewiesen, dass es eigentlich eine alte Compiler Tool Chain ist, die da zum Einsatz gekommen ist. Das hat also nicht zusammen gepasst.

00:52:36 Christian Dietrich: Okay. Können wir denn jetzt diese anderen beiden Hypothesen, also China und Russland, was können wir denn damit machen? Schauen wir uns nochmal vielleicht den Bezug zu China an. Also ja, wir haben irgendwie gesehen, es gibt hier Code Ähnlichkeit – sogar in drei Fällen. Das Problematische an der Geschichte war nur, das war mit drei verschiedenen Akteuren. Nämlich APT3, APT10 und APT12. Also drei verschiedene Akteure, die zwar alle China zugeordnet werden, aber eigentlich muss man sich fragen: Moment, wer war es denn jetzt? Also eine gemeinsame Aktion von diesen dreien im spezifischen ist eigentlich eher unplausibel. Die Granularität Land, hinsichtlich der Attribution, die ist ja jetzt nicht irgendwie naturgegeben. Also man fängt vielleicht erst mal an, in Ländern zu denken. Und was wir damit oft meinen, ist gar nicht so sehr die Herkunft aus dem Land in irgend einer Form, sondern mehr, ob die Interessen – also gerade so bei gezielten Angriffen – ob die Interessen der Regierung oder der staatlichen Verwaltung in irgendeiner Form aus dem entsprechenden Land umgesetzt werden. Und jetzt sehen wir eben hier, wenn wir mal in der Granularität feiner werden wollen, als nur den Bezug zu einem Land, dann wird es halt super problematisch – in Bezug auf China.

00:53:46 Lars Wallenborn: Und ich finde, das ist auch ein Beispiel wo man gut erkennt… also man wird gelegentlich mal gefragt, ja wen interessiert es denn, welcher Akteur aus Russland das war, oder welcher Akteur aus China das war. Na ja, das interessiert eigentlich aus einer politischen Sicht nicht so viele Leute, aber in so einem Fall interessiert es jetzt schon. Wenn man sagt, diese drei Kriterien die wir gerade hatten, die sind alle China zugeordnet, dann hört sich das so an, als könnte es vielleicht China sein. Aber wenn man jetzt ein feineres granulares Tracking hat, von verschiedenen chinesischen Akteuren, kann man so eine Aussage tätigen wie: Na ja, das erste Kriterium, das wir beobachtet haben, gehört zu dieser Gruppe, das zweite zu dieser Gruppe und das dritte zu noch einer anderen Gruppe, und hat jetzt plötzlich ein Argument zu sagen: Na ja, also es ist unwahrscheinlich, dass diese drei Gruppen ganz plötzlich – vorher nie, und jetzt ganz plötzlich – angefangen haben, zusammen zu arbeiten. Und deswegen ist es wichtig, auch schon vorher eine Übersicht darüber zu haben, wie die Bedrohungslandschaft aussieht und eventuell auch feiner granular, als nur Land.

00:54:42 Christian Dietrich: Um eine weitere Dimension in der Attribution abzudecken, könnte man sich die Frage „Cui Bono?“ stellen, also die Frage, wem nützt dieser Angriff? Und da könnte man zunächst mal vielleicht festhalten, der Erfolg der Olympischen Spiele, der ist im Allgemeinen im Interesse zukünftiger Gastgeber. Und das ist hier besonders interessant, weil die Olympischen Winterspiele 2022 eben in Peking, in China stattfinden sollten. Das heißt also, China war in der Folge der nächste Ausrichter Olympischer Winterspiele.

00:55:11 Lars Wallenborn: Dem haftet jetzt ein großes Risiko an. Also wenn China jetzt die Olympischen Spiele sabotiert und das kommt raus, und…also ich weiß nicht, ob dann sogar so was passiert, wie den Gastgeber Status verlieren und die olympischen Spiele passieren woanders und so. Also da stellt sich schon die Frage, warum sollten die das machen?

00:55:27 Christian Dietrich: Genau.

00:55:28 Lars Wallenborn: Gut. Dann wechseln wir jetzt mal zum dritten Kandidaten, den wir auf unserer Liste haben, nämlich Russland. Da kann man sich jetzt auch mal überlegen, was gibt es da in der politischen Dimension zu sagen. Erstmal würde ich sagen, also generell hat Russland halt schon ein Interesse daran, in anderen Regionen – besonders in dieser Region hier –  für Unruhe und Instabilität zu sorgen. Das ist auf  jeden Fall in deren Interesse…

00:55:52 Christian Dietrich: So, und dann muss man knallhart mal festhalten, Russland hatte in diesen Spielen noch nicht mal Athlet:innen vertreten, denn formal waren die olympischen Athleten – also hieß es – nur olympische Athleten aus Russland. Und Russland als Nation war in Folge der Dopingvorfälle aus 2014 gesperrt. Und das kann man vielleicht mal so ein bisschen aufrollen. Wenn man sich da ganz kurz die Historie anschaut. Also 2014 waren die olympischen Winterspiele ins Sotschi in Russland. Russland ist damals als erfolgreichste Nation aus diesen Spielen raus gegangen. Kurz danach ist das staatliche Doping Programm aufgedeckt worden. Übrigens von dem Deutschen Hajo Seppelt, der das in einer ARD Doku „Geheimsache Doping“ zu Tage gefördert hat oder verfolgt hat. Und im Dezember 2017, also am 5. Dezember 2017 sperrt das Internationale Olympische Komitee Russland als Nation für die Olympischen Winterspiele 2022.

00:56:51 Lars Wallenborn: Also da wurde es offiziell. Das hat sich auch schon vorher angedeutet und so, aber da ist der Hammer gefallen, Russland darf nicht mitmachen.

00:56:57 Christian Dietrich: Vielleicht an der Stelle ein kleiner Filmtipp. Der Film „Ikarus“, das ist eine Doku, von Bryan Fogel. Da geht es unter anderem um Grigori Rodtschenkow. Ist ein ganz interessanter Film, kann man sich mal anschauen, wenn man da ein bisschen tiefer einsteigen will. Es gab noch eine zweite Beobachtung, die so ein bisschen verstörend wirkte vielleicht, als sie kam, denn die russische Regierung stritt einen Cyber Angriff ab, bevor es überhaupt einen Cyberangriff gab.

00:57:21 Lars Wallenborn: Und das ist immer ganz schlecht, wenn man anfängt, sich für etwas zu verteidigen, was noch gar nicht passiert ist. Oder was zumindest noch nicht mal aufgefallen ist, sage ich mal vorsichtig. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was da schiefgelaufen ist, muss ich sagen. Also da schienen sich Leute ganz schlecht abgestimmt zu haben.

00:57:35 Christian Dietrich: Ich meine ein paar Tag später oder retrospektiv kann man eben sagen, das ist natürlich ein sehr, sehr auffälliges Verhalten. So und jetzt fragen sich wahrscheinlich alle Zuhörer:innen, woher haben wir eigentlich diese Sichtbarkeit, diese Visibility in diesem Vorfall?

00:57:49 Lars Wallenborn: Na ja, und so was wie um 19:42 Uhr wird die Wiper Malware in die Zielumgebung übertragen. Also da fragt man sich schon, haben die zwei Armchair Investigators jetzt vielleicht doch ein weltweites Spionageprogramm am Start.

00:58:00 Christian Dietrich: Leider war das nicht der Grund für die lange Pause in den Podcast Folgen. Wir berufen uns hier maßgeblich auf ein US Indictment, also auf eine Anklageschrift des US Department of Justice. Und zwar konkret auf das, was am 19. Oktober 2020 also über zwei Jahre nach dem eigentlichen Vorfall hier veröffentlicht wurde.

00:58:21 Lars Wallenborn: Genau. Und da steht halt das alles so genau drin. Ich fand es super interessant, das auch noch mal zu lesen und so. Wir verlinken das natürlich auch in den Shownotes. Da kann man genau das, was eben in der Folge hier alles vorkam, kann man hier genau so nachlesen. Mit Uhrzeiten, mit um so und soviel Uhr wurde die E-Mail verfasst und um so und soviel Uhr verschickt, also das ist schon beängstigend gute Visibility, die dieser Anklageschrift zu Grunde liegt.

00:58:45 Christian Dietrich: So, und jetzt kommen wir eben zu einem Knackpunkt hier in dieser Folge. Denn wir können an dieser Stelle festhalten: Wenn wir jetzt hier der vermeintlich stärksten Attribution Glauben schenken, nämlich dass es hier diese politische Motivation Russlands gibt, dann haben wir es hier mit einer sogenannten False Flag Operation zu tun. Das heißt, hier hat jemand bewusst versucht, den Ursprung, also die Attribution fehlzuleiten. Das bezeichnet man eben als False Flag. Und das Ganze hat einen relativ gutes Ende genommen, denn diese False Flag Operation ist aufgeflogen.

00:59:17 Lars Wallenborn: Ja, ich fand das auch sehr, ich sage mal, erhebend, das Gefühl. Das ist ja immer das große „The looming Evil on the Horizon“, dass es Akteure gibt, die nur so tun, als wären sie ein anderer Akteur. Und das auch so geschickt machen, dass man das überhaupt nicht auseinander halten kann. Und das ist hier vielleicht nicht so geschickt gemacht worden, wie man es hätte machen können, aber es ist auf jeden Fall hier passiert. Und es ist vor allem aufgefallen, nach vernünftiger Analyse, nach etwas Zeit die da ins Land gegangen ist und so, dass diese False Flag Operation, die da ausgeführt wurde und nicht erfolgreich war, und welche False Flag war das überhaupt? Also ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass es russische Malware war, die da geschrieben wurde. Und dann hat man sich alte nordkoreanische Malware genommen, und da einfach so den PE Header von der koreanischen Malware in diese russische Malware rüber kopiert. Byte für Byte, in der Hoffnung, dass sich das jemand anguckt und sagt: Ha, das ist die gleiche Entwicklungsumgebung, die wir auch schon in der Malware gesehen haben, also es muss Nordkorea sein.

01:00:17 Christian Dietrich: Das zum einen, und zum anderen haben wir ja auch wirklich die Algorithmik ähnlich implementiert. Dass man da so in Blöcken à hex 1000 Bytes, also 4096 irgendwie liest, beziehungsweise  dann schreibt, das gab es ja auch. Aber du hast schon völlig recht. Wahrscheinlich ist diese Metadaten Gleichheit, die ist wahrscheinlich das beste Zeugnis davon, dass jemand also da wirklich den PE Header rüber kopiert hat. Eins zu eins übernommen hat.

01:00:42 Lars Wallenborn: Gut, dann wollen wir doch jetzt mal zum Fazit übergehen. Also der gesamte Fall ist aus unserer Perspektive halt jetzt eine relativ safe Situation. Also wir haben Industrie Reporting und öffentliche Blogposts und so weiter, die deuten alle auf Russland hin. Es gibt eine Anklageschrift aus den USA, die auch sagt, es war Russland, das ist also quasi aus einer Analysten Perspektive so gut ermittelt, wie es nur sein kann. Alle sind sich einig. Es gibt NSA Level Visibility in dem Fall, es gibt Industrie Reporting, das das unterstützt, und so weiter. Das heißt, wir können jetzt einfach mal annehmen, das war Russland. Und jetzt könnten wir uns mal fragen, warum machen die das überhaupt. Also Chris, warum machen die das überhaupt?

01:01:19 Christian Dietrich: Ja, Ziel könnte hier schon sein, dass man Vertrauen erodieren möchte, und zwar Vertrauen in das System Olympische Spiele. Insbesondere vielleicht hinsichtlich Fairness und Doping, beziehungsweise Anti Doping. Weil genau das eigentlich in dem Zeitraum zwischen 2014 und 2018 eine sehr große Rolle gespielt hat. Also dieses staatlich organisierte Dopingsystem wurde ermittelt, dokumentiert und veröffentlicht, und dann könnte man eben argumentieren: Na ja, dann sabotiere ich eben die Olympischen Spiele als den Ort, wo faire sportliche Wettkämpfe ausgetragen werden.

01:01:57 Lars Wallenborn: Wenn dieser ganze destruktive Angriff erfolgreich gewesen wäre, dann hätte man sagen können: Na ja, wie sollen die denn bitte sehr vernünftige Anti Doping Maßnahmen treffen, wenn sie noch nicht mal ihr Netzwerk gegen nordkoreanische Malware schützen können. Ja, das ist so ein bisschen die Idee. Und auch sehr viel primitivere Motive könnten dahinter stecken. Also ich meine, die Russen durften nicht mitspielen, dann machen sie die Spiele halt für alle anderen auch kaputt. Hat aber nicht geklappt.

01:02:21 Christian Dietrich: Wir haben eben gesehen, dass es sich hier um eine False Flag Operation handelt, die als solche erkannt wurde und ich finde, da kann man manchmal ganz gut einen Vergleich ziehen. Nämlich welche neuen Techniken sich mit der Zeit entwickeln. Und was die in der Analyse für Unterschiede zur Folge haben. Und ich vergleiche das immer ganz gerne so mit der DNA Analyse bei klassischen Verbrechen. Also quasi in der klassischen Forensik wurden halt irgendwann DNA Analysen entwickelt, und man hatte auf einmal Möglichkeiten, Fälle aufzudecken, die man vielleicht bis dahin mit den zur Verfügung stehenden Mitteln einfach nicht aufdecken konnte. Wir haben ja hier in diesem konkreten Vorfall, also Olympic Destroyer, über den PE Rich Header gesprochen und diese PE Rich Header Analyse. Und da finde ich eine Sache ganz wichtig. Nämlich es gab da einen Forscher von Kaspersky, der sich wahrscheinlich schon so oft Rich Header angeschaut hatte, dass er in dem Moment, wo er realisiert hat, hier sollen Byte-gleiche Rich Header vorliegen, da hat er eben gesagt, das kann nicht sein. Und genau dieses Gefühl, dieser Erfahrungswert, der hat ihn dann ein bisschen dazu verleitet, sich das noch genauer anzuschauen. Und hat da wirklich so herausgearbeitet, dass das hier vermutlich eben eine False Flag Operation ist, in der Folge. Jetzt könnte man sagen, diese Rich Header Analyse, die haben vereinzelt sicherlich Leute bis dahin überhaupt schon gemacht. Aber das war zu dem Zeitpunkt kein Analysemittel was in der Community ständig diskutiert wurde.

01:03:55 Lars Wallenborn: Und ich glaube noch nicht mal, dass das daran lag, dass das irgendwie geheim gehalten wurde oder so. Ich glaube einfach, Leute haben das gelegentlich mal gemacht, und nicht so sehr drüber nachgedacht, dass es so ein mächtiges Tool sein kann. Und von solchen Sachen gibt es glaube ich ganz ganz viele – na ja, die man einfach so macht und erst wenn man mit jemand anders drüber redet und feststellt, oh ja, das ist ein super mächtiges Werkzeug und so weiter.

01:04:14 Christian Dietrich: In der Folge muss man glaube ich aus heutiger Perspektive sagen, diese Rich Header Analyse, die wird halt einfach immer gemacht. Die lässt man nicht mehr außen vor. Und wiederum in der Folge heißt das natürlich, dass wahrscheinlich Akteure, die heute eine False Flag Operation planen, sich dessen wohl bewusst sind und dass man vielleicht diese Methode so in der Form nicht notwendiger Weise nochmal verwenden kann. Aber darum soll es hier gar nicht so en Detail gehen. Es geht eher darum, wie interessant es eben ist, wenn man solche neuen Techniken mal so wirklich zum Einsatz bringt. Und natürlich kann man diese Techniken auch retrospektiv auf eine ganze Reihe anderer Fälle anwenden. Und das wurde eben auch vielfach gemacht, um sozusagen retrospektiv sich anzuschauen beispielsweise, wie sich Malware zusammen setzt und ob es da Konsistenzen oder Inkonsistenzen gibt.

01:05:03 Lars Wallenborn: Hier gibt es übrigens noch ein ganz interessantes Asymmetrie Verhältnis. Man sagt ja eigentlich immer, es gibt eine Asymmetrie zwischen Angreifern und Verteidigern, dass die Angreifer nur einmal reinkommen müssen und die Verteidiger alles absichern müssen. Das ist quasi unfair für die Verteidiger. Aber es gibt jetzt hier auch noch ein anderes Asymmetrie Verhältnis zwischen Angreifern die False Flag Operationen durchführen und Verteidiger Analysten, die diese Operationen analysieren. Weil hier müssen die Angreifer jetzt gegen jede dieser Analysetechniken alles richtig machen und die False Flag Operation richtig durchführen, die Rich Header richtig machen. Die müssen, weiß ich nicht, alles andere, was da sonst noch so rum fleucht an Techniken, korrekt handeln und korrekt False Flagifizieren. Weil wenn sie nur an einer dieser Stellen was falsch machen, dann fällt das auf, und dann kann man sagen, das spricht alles dafür, aber das könnte auch alles gefälscht sein hier an dieser Stelle, das spricht dagegen und so weiter. Also das ist eine ganz hoffnungsschaffende Asymmetrie. Nicht ganz so düster wie die andere mit den Verteidigern und Angreifern.

01:05:59 Christian Dietrich: Solche False Flag Operationen sind ja insgesamt super interessant. Und ich habe mich da mal gefragt, ob man so eine Attributions-Fall-Unterscheidung machen kann. Also was ich meine ist, in dem Moment wo du als Analyst, als Intelligence Analyst, da anfängst irgendwie so einen Fall aufzuarbeiten, da machst du ein Clustering. Also du versuchst die ganzen Artefakte und Observables, die du hast, zu sortieren und für dich irgendwie zu gliedern und zu strukturieren. Aber natürlich gibt es Fälle, da hast du einfach zu wenig, um in die sogenannte Charging Phase der Attribution einzusteigen. Das heißt, du hast im Prinzip einfach nichts, um zu attributieren. Du kannst super kategorisieren, du kannst super sortieren, aber du hast nichts um zu attributieren. Und wahrscheinlich denken viele, das ist der häufigste Fall. Ich weiß gar nicht, ob man das quantifizieren kann, das passiert bestimmt ziemlich häufig. Es gibt da ja auch unterschiedliche Nomenklaturen. Also es gibt ja zum Beispiel diese Unnamed Cluster, die ich glaube maßgeblich Mandiant da benutzt. Also UNC ist da so dieser Prefix. Also das ist quasi dieser Fall Eins. Der nächste Fall ist, die Attribution klappt nicht, weil es eben nur vereinzelte, sehr wenige Indikatoren gibt. Also ich sage mal, so plakativ könnte man sagen, ja das ist diese eine IP, die ist irgendwie aus Südkorea, also gibt es da irgendwie einen Südkorea Bezug, aber wir wissen eigentlich, das ist irgendwie nicht stichhaltig. Das ist aber das einzige was wir haben. Da denken wahrscheinlich auch viele, dass das ganz häufig der Fall ist und das ist wahrscheinlich auch so. Man könnte vielleicht sagen, wenn man an so einen Akteur wie Fancy Bear denkt, dann war das vielleicht so 2009/2010 herum, da war das vielleicht irgendwie zumindest im Industry Reporting vielleicht so der Fall. Man hat da so eine Idee, aber das ist nicht mit den Maßstäben, mit denen man vielleicht vernünftig Attribution betreibt, ist das irgendwie einfach nicht verlässlich. Und der dritte Fall ist, man hat genug, und es ist schlüssig. Wenn man bei Fancy Bear vielleicht mal bleibt, dann kann man sagen, ich würde sagen,  spätestens 2018 war weitestgehend in der Industry – also sowohl in der Industry, als auch eben in den staatlichen Organen die Sichtweise relativ klar, man konnte diese Operation attributieren. Man hat also mehrere Indikatoren, die Attribution erlauben, in vielen Dimensionen, diese Attributionsmodelle, die es da gibt, und die geben vor allem auch ein einheitliches schlüssiges Bild. Und dann gibt es aber den letzten Fall, also den vierten Fall. Und der ist interessant und der geht in diese Richtung, False Flag Operationen. Und der ist vielleicht, wenn man den ein bisschen allgemeiner fasst…

01:08:28 Lars Wallenborn: Ich unterbreche dich jetzt einfach mal. Ich würde nämlich eigentlich sagen, diese drei ersten Fälle, die sind eigentlich alle der gleiche Fall. Weil ich meine, so läuft das doch immer. Also du wachst nicht plötzlich auf, hast überhaupt kein Verständnis von Cyber Threat Landscape und hast dann viele, genug und schlüssige Attributionsinformationen. Das ist ja immer ein Prozess. Du fängst immer an und hast keinen Anpack. Und… also nicht in jedem Fall. Also wenn du einfach sonst keinen Kontext hast, hast du erst einmal keinen Anpack. Und je mehr du eine Übersicht über die Gesamtlandschaft bekommst, desto mehr Anpack kannst du auch überhaupt haben. Desto mehr Rezeptoren hast du an allen Ecken und Enden. Desto mehr ja, dieses Mörder Board, desto mehr Pins hast du da drin, zu denen du Fäden ziehen kannst, die du vorher nicht ziehen kannst. Und das wird mit der Zeit auch immer mehr und das liegt auch an diesem Asymmetrie, von der ich gerade gesprochen habe. So ein Akteur, der muss halt nur einmal einen Fehler machen, und einmal versehentlich sich nicht in ein VPN einloggen, wenn er mit dem Server redet, oder was auch immer. Und wenn das einmal passiert, dann hat man wieder so etwas. Und das heißt, je länger man die gleiche Aktivität trackt, desto mehr schlüssige Informationen hat man. Aber ich würde eigentlich sagen, diese drei Fälle – ja, diese drei Fälle gibt es, aber die sind eigentlich nur eine Konkretisierung eines Prozesses, der halt stattfindet.

01:09:41 Christian Dietrich: Ja, das kann man so sehen. Aber andererseits, also im Grunde bin ich da auch bei dir, weil klar, in den meisten Fällen – also je länger du einen Akteur trackst, um so höher, würde ich auch sagen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du ihn verlässlich attributieren kannst. Trotzdem haben wir eine ganze Menge an Akteuren oder Clustern, die bis heute Unnamed Cluster geblieben sind. Und wo ich mir auch fast sicher bin, die werden wir in Zukunft nicht verlässlicher attributieren können. Ich glaube, es gibt schon eine ganze Menge Fälle, die verbleiben in diesen anderen Fällen, also kein Anpack oder zu wenig oder nicht schlüssig und so weiter – und sich das mal bewusst zu machen ist glaube ich auch völlig in Ordnung. Das muss ja nicht heißen, dass Attribution grundsätzlich nicht möglich ist, oder nicht sinnvoll ist, sondern…

01:10:23 Lars Wallenborn: Nein, man muss natürlich Prioritäten setzen. Also wenn man jeden Akteur immer trackt, dann braucht man unglaublich viele Ressourcen und die hat man eventuell gar nicht zur Verfügung. Also irgendeine Priorisierung muss man halt machen.

01:10:34 Christian Dietrich: Genau. Der letzte Fall, den ich noch ganz kurz anschneiden wollte, wo es in die Richtung False Flag geht, das ist vielleicht der Fall, wo es zu viele, aber in viele verschiedene Richtung gehende Indikatoren gibt. Ja, oder Attributionsansätze. Das heißt, die Attribution klappt nicht, weil sie zu widersprüchlich ist. Nicht weil man zu wenig hat, sondern weil man genug hat, aber es ist einfach zu widersprüchlich und das könnte vielleicht der Versuch gewesen sein, hier so ein bisschen zu bezwecken. Das heißt, dass man nicht nur die falsche Fährte in Richtung Nordkorea legt, sondern man wollte eben möglicherweise bewusst, auch noch eine falsche Fährte in Richtung China legen und da auch noch hinsichtlich mehrerer Akteure. Wir wissen nicht genau, ob das bewusst oder unbewusst passiert ist an der Stelle. Und nur um einfach mal ein zweites Beispiel vielleicht zu geben, wäre an der Stelle Cloud Atlas, ein Akteur, der sich da an der Stelle vielleicht ähnlich gebart hat. Okay, genug von diesen ganzen theoretischen Modellen, zurück zum Fazit. Vielleicht kann man sagen, wenn man das ganze im zeitlichen Verlauf noch einmal betrachtet, dann zeichnet sich ein verhältnismäßig klares Bild. Also vielleicht fängt man 2014 an, wir haben die Olympischen Winterspiele in Sotschi, Russland gewinnt die meisten Medaillen, super viele Erfolge, das war im Februar 2014 glaube ich, und einen Monat später im März, beginnt Putin die militärische Auseinandersetzung mit der Ukraine, die mal eben die Krim besetzt, zunächst ja verdeckt, aber das artet ja dann aus irgendwie zu einer tatsächlichen militärischen Auseinandersetzungen. Im Dezember 2017 wird Russland suspendiert von den Olympischen Winterspielen 2018, das sind die nächsten Olympischen Winterspiele…

01:12:14 Lars Wallenborn: Oder ein anderer Grund oder eine andere Motivation warum man so einen destruktiven Angriff gegen die Olympischen Spiele macht, kann halt auch so ein Drohgebaren sein. Das passt ja auch irgendwie gut in das russische Klischee, so von wegen: Ja, lass uns lieber mitspielen, sonst machen wir das für alle kaputt.

 01:12:27 Christian Dietrich: Haben wir ein Schlusswort, Lars?

01:12:29 Lars Wallenborn: Ja, wir haben ein Schlusswort. Also die Verteidigung hat hier super geklappt, die Attribution hat zumindest mit etwas Zeit gut geklappt, sogar eine False Flag Operation wurde quasi durchschaut, und das ist sehr gut und das ist sehr wichtig. Also das spielt in diesem Themenkomplex Resilienz mit rein, das ist halt auch eine Art und Weise, sich im Cyberspace zu verteidigen, indem man dafür sorgt, dass man vorbereitet ist auf Angriffe, dass man die dann handeln kann korrekt und dass man im Nachgang auch feststellen kann, wer war es und dann auch eventuell – wie jetzt auch in dem Fall – Anklage erheben kann.

01:13:06 Christian Dietrich: Ja. Dieser Vorfall ging als Olympic Destroyer, wahrscheinlich eben in die Cyber Geschichtsbücher ein, und wenn man so will, ist vielleicht eines davon das Buch „Sandworm” von Andy Greenberg. Vielleicht kann ich an der Stelle mal kurz ein bisschen Werbung machen. Wir haben bei uns an der Westfälischen Hochschule einen Master Studiengang, Internetsicherheit, wenn man irgendwie Informatik-affin ist und einem solche Themen, wie hier Fragen zur Attribution und zur technischen Analyse von Cybervorfällen und Malware liegt, dann ist das vielleicht irgendwie ganz interessant. Das war es auch mit dem Werbeblog. Ja, die Folge ist etwas länger geworden. Das war aber auch Absicht. Wenn euch das so gefallen hat, dann lasst uns doch vielleicht irgendwie Kommentare auf Twitter da…

01:13:45 Lars Wallenborn:  @armchairgators ist unser Handle auf Twitter. Oder ihr könnt uns natürlich auch erreichen über unsere Webseite armchairinvestigators.de.

01:13:54 Christian Dietrich: Es hat uns gefreut, wenn ihr bis jetzt drangeblieben seid, und bis zum nächsten Mal.

01:13:58 Lars Wallenborn: Tschüss.

01:14:00 Christian Dietrich: Ciao.

#5 Shamoon

Im August 2012 schlug eine destruktive Schadsoftware zu und sorgte dafür, dass mehr als 30.000 Computer des betroffenen Unternehmens nicht mehr starten konnten. Es kam in der Folge zu einem massiven, wochenlangen Ausfall. Wie funktioniert diese Wiper-Malware? Welche ihrer Eigenschaften sind charakteristisch und lassen sich etwa im Rahmen der Attribution nutzen? Wie wurde die Malware letztlich einem staatlich-gestützten Akteur mit Bezug zu Iran zugeschrieben? Diesen Fragen gehen wir in dieser Podcast-Folge auf den Grund und lassen den Blick auch ein bisschen über destruktive Wiper-Angriffe schweifen.

Transkript anzeigen...

00:00:31 Christian Dietrich: Hallo liebe Cyberfreunde. Mein Name ist Chris, ich bin Professor für IT Sicherheit an der Westfälischen Hochschule…

00:00:38 Lars Wallenborn: … und mein Name ist Lars Wallenborn. Und ich arbeite als Software Entwickler und Malware Analyst bei CrowdStrike.

00:00:43 Christian Dietrich: Lars, normalerweise sprechen wir ja viel über Malware Angriffe die eher leise passieren. So Spionageangriffe beispielsweise, die hört man in der Regel nicht. Aber heute wollen wir mal über was anderes reden. Heute wird es mal laut, sozusagen, im Malware Kontext. Das wollen wir uns heute mal anschauen und es geht maßgeblich um einen Vorfall im August 2012.

00:01:03 Lars Wallenborn: Ja genau. Und bei diesem Vorfall, das kann man sich so vorstellen: Größere Firma, morgens kommen alle ins Büro, und irgendwie zeigen die Computer seltsame Fehlermeldungen an. Und einige Computer werden dann neu gestartet und fahren irgendwie nicht hoch. Und eigentlich funktioniert gar nichts mehr so richtig. Da würde man heute eigentlich davon ausgehen, da hat wahrscheinlich ein Ransomware Angriff stattgefunden. Also da wurde irgendwie eine Malware von einem Kriminellen ausgebracht und der will jetzt Geld dafür haben, dass die Computer wieder funktionieren. Aber wie wir gleich herausfinden werden, handelt es sich hierbei um etwas anderes.

00:01:32 Christian Dietrich: Genau. Betroffen ist die teuerste Firma der Welt. Also die Financial Times schätzte 2010, dass das Unternehmen, um das es hier geht, mit etwa zwei Billionen US-Dollar das wertvollste der Welt ist.

00:01:45 Lars Wallenborn: Ist Apple so viel wert? Ich weiß es überhaupt nicht, wie viel diese ganzen Firmen wert sind.

00:01:49 Christian Dietrich: Ja, man würde vielleicht eher so an Apple denken oder Google, aber um die geht es hier nicht. Es geht um ein Unternehmen, dass 1933 gegründet ist, also keins von den neueren Tech-Unternehmen, und das den größten Börsengang in der Geschichte hingelegt hat. Der war allerdings erst 2019. Es handelt sich um Saudi Aramco.

00:02:06 Lars Wallenborn: Die machen Öl, nicht wahr?

00:02:08 Christian Dietrich: Ja. Ganz genau. Das ist der weltgrößte Ölproduzent, mit dem Hauptsitz eben in Saudi Arabien, aber natürlich auf der ganzen Welt irgendwie vertreten.

00:02:17 Lars Wallenborn: Und bei denen wurden die Rechner halt infiziert mit einer Malware und da finde ich, müssen wir das direkt mal ein bisschen auseinander dividieren. Bei so einer Firma, die in der Industrie arbeitet, also jetzt hier Öl fördert, da denkt man immer direkt, dass die Systeme, die dafür verantwortlich sind die großen Maschinen zu steuern, also die ICS – Industrie Control Systems – dann von dieser Malware betroffen sind. Aber das war hier nicht so. Hier wurde ausschließlich quasi der Orga-Bereich der Firma, also die Bürocomputer von dieser Malware infiziert.

00:02:48 Christian Dietrich: Also die Pumpen liefen noch alle und konnten Öl fördern, aber der Teil, der sozusagen für die Verteilung und Distribution des Öls zum Beispiel zuständig war, der hatte eben so ein paar Probleme. Genau. Das sind nicht weniger als 30.000 Computer gewesen, die davon befallen waren. Um mal so eine Größenordnung irgendwie hier zu nennen.

00:03:06 Lars Wallenborn: Und die Zahl, die ist auch bestätigt worden, oder die Zahl kommt sogar aus dem offiziellen Presse Statement von Saudi Aramco, die sie nach dem Vorfall veröffentlicht haben. Was natürlich nicht heißt, dass da dann das Öl noch floss oder so. Also das floss wahrscheinlich schon noch irgendwie, aber es gab dann auch so Bilder, die um die Welt gegangen sind, von langen Schlangen von LKWs, die da waren um Öl abzuholen, aber keins gekriegt haben. Wahrscheinlich, weil sie nicht bezahlen konnten. Weil, das läuft ja dann schon noch über die Büros.

00:03:32 Christian Dietrich: Womit sind diese Rechner jetzt befallen worden? Darum soll es ein bisschen gehen. Na ja, wir haben eben schon vorweg genommen, es geht um eine Malware. Ja, man könnte jetzt fragen: Gab es irgendwie eigentlich Lösegeld? Nein. Denn es ging ja eben nicht um Ransomware, das war 2012 noch gar nicht so ein riesen Thema, Ransomware, sondern es geht um einen sogenannten Wiper. Ja, to wipe – im englischen eben im Prinzip für wischen – wird häufig so verwendet, dass man eben Dateien löscht. Und zwar unwiederbringlich versucht diese Dateien zu löschen.

00:04:04-2 Lars Wallenborn: Beim unwiederbringlich Dateien löschen ist vielleicht noch wichtig, dass wenn man auf seinem Computer eine Datei löscht oder wenn man sie in den Papierkorb verschiebt, dann ist ja quasi jedem klar, dass da nicht viel passiert. Aber selbst wenn man sie aus dem Papierkorb entfernt, ist sie auf einem Dateisystem Level auch noch nicht irgendwie einfach verschwunden. Also wenn man sich die Festplatte dann roh anguckt, sage ich mal, …

00:04:24 Christian Dietrich: …digital-forensisch beispielsweise.

00:04:27 Lars Wallenborn: …digital-forensisch, dann kann man die Dateien auch finden. Die werden eigentlich nur zum Löschen markiert und nicht schon direkt gelöscht. Deswegen müssen solche Wiper-Malware noch etwas tun, damit man die Daten digital-forensisch nicht wieder herstellen kann. Und dieser Wiper, der macht das, indem er eine Bilddatei mitbringt und die verwendet um die Dateien zu überschreiben, bevor sie als gelöscht markiert werden. Und das ist ganz interessant. Ich meine, der Computer wird danach nicht mehr starten können, das heißt er wird diese Bilddatei auch nicht anzeigen können. Das heißt, der einzige Moment, wo diese Bilddatei überhaupt erst auftauchen kann, ist, wenn sich das jemand anguckt – ein technischer Analyst – und da dann halt guckt, womit die Dateien überschrieben wurden. Und dann wird erst diese Bilddatei auftauchen.

00:05:14 Christian Dietrich: Also diese Bilddatei kann man eigentlich erst über digitale Forensik feststellen oder wiederfinden. Und nicht in irgendeiner Form, indem man den Computer einschaltet und dann erscheint auf magische Art und Weise eben diese Bilddatei, die verwendet wurde, um da irgendwas zu überschreiben. Was für eine Bilddatei ist da verwendet worden zum Überschreiben?

00:05:30 Lars Wallenborn: Das war ein Bild von einer brennenden amerikanischen Flagge. Also ich sage mal, ein politisch aufgeladenes Foto.

00:05:38 Christian Dietrich: Und wenn wir uns technisch jetzt nochmal so ein bisschen damit beschäftigen, wie dieses Löschen, dieses Wipen, eigentlich von sich geht, dann gibt es hier auch eine Besonderheit oder gibt es bei Wipern eben nicht viele Möglichkeiten, das eben genau so hin zu bekommen. Und hier gibt es eben die Besonderheit, dass hier ein ganz besonderer Treiber verwendet wurde. Der ist nicht selbst von den Autoren, von den Malware Autoren, geschrieben worden, sondern der ist kommerziell verfügbar. Der sogenannte EldoS Raw Disk Driver. Und der Grund, warum man das mit Hilfe eines solchen Treibers macht – also das Löschen, das Wipen der Dateien – das liegt eben maßgeblich daran, dass man auf die Art und Weise Zugriff auf die Festplatte bekommt. Und ganz bestimmte Komponenten in Betriebssystemen, also in Windows, umgeht, die eigentlich sicherstellen sollen, dass zum Beispiel Dateien, die gerade benutzt werden, nicht unwiederbringlich gelöscht werden können.

00:06:30 Lars Wallenborn: Und das ist bei so einer destruktiven Software, die zum Ziel hat, den Computer auch quasi unbootbar zu machen – also die nicht nur vorhat alle Bilder und Dokumente vom Computer zu löschen, sondern auch das Betriebssystem soweit zu beschädigen, dass der Computer nicht mehr startet – das ist für so einen Wiper wichtig. Weil die Betriebssystem Dateien, während das Betriebssystem läuft, natürlich im Zugriffsmoment sind. Die werden gelesen vom Betriebssystem und könnten halt nicht überschrieben werden. Das war aber hier für diese Wiper-Familie wichtig, dass die auch überschrieben werden können. Deswegen war so ein Weg, um so einen Gerätetreiber, unumgänglich. Also irgendwie so was muss man in so einer Situation machen.

00:07:06 Christian Dietrich: Bei so einer Kampagne der Größenordnung, wie wir sie hier eben vorfinden, also über 30.000 infizierte Rechner, gibt es eine ganz interessante Komponente, nämlich wie das eigentliche Löschen dann gestartet wird. Und das passiert in der Regel über ein Trigger-Datum. Das heißt, die Malware versucht eine ganze Zeitlang zunächst mal sich in der Zielumgebung zu verbreiten. Also diese 30.000 Rechner die müssen halt erst mal infiziert werden, ohne dass sofort gelöscht wird. Man versucht also zu warten, bis möglichst viele Computer infiziert sind …

00:07:41 Lars Wallenborn: Wäre ja auch blöd sonst. Weil sonst gehen einzelne Computer schon kaputt und dann fällt einem auf, hier ist aber irgendwas schief. Und dann guckt sich das jemand an und stellt fest, da ist ja überall Malware drauf. Und dann kann man vielleicht noch etwas dagegen tun. Und das wollen die Akteure hier natürlich vermeiden.

00:07:53 Christian Dietrich: Ja, das ist so eine Art Strategie, um sozusagen den Schaden zu maximieren. Und diese Verteilung, dieses sogenannte Spreading, das Verteilen, das ging wohl hier vergleichsweise einfach, weil diese Office Infrastruktur eben eine relativ flache Netztopologie hatte. Das heißt, es ging dort vergleichsweise einfach, von einem infizierten Rechner zum nächsten zu springen, und den dann eben auch zu infizieren.

00:08:15 Lars Wallenborn: Ist übrigens auch eine riesen Gemeinsamkeit zwischen dieser Art von Operationen, also von so Wiping Angriffen und von Ransomware. Die will auch so lange unerkannt bleiben, bis sie alles infiziert hat, was sie infizieren kann und dann erst los schlagen.

00:08:30 Christian Dietrich: Schauen wir uns doch die Malware mal ein bisschen genauer an. Also ich glaube, es gibt eine sehr charakteristische Eigenschaft, nämlich die Struktur im Prinzip von der Malware und insbesondere eben ihrer Komponenten. Man muss sich das im Prinzip so vorstellen, dass es zwar eine initiale Datei, eine ausführbare Datei gibt, die sozusagen da ausgerollt wird. Und das ist letztlich ein sogenannter Dropper, der also dafür sorgt, die verschiedenen Komponenten zu entpacken und auf dem Zielsystem eben zur Ausführung zu bringen.

00:09:02 Lars Wallenborn: Und hier in dem Fall bestand dieser Dropper aus drei Unterkomponenten, sage ich mal, und die waren in sogenannten PE-Ressourcen gespeichert. Das ist ein Bereich in ausführbaren Dateien in Windows, und der ist extra dafür gedacht, Daten mit zu bringen. Und in dem Fall, wird dieser Bereich halt dafür verwendet, zusätzliche Komponenten mitzubringen. Und diese verschiedenen PE-Ressourcen – die haben auch Namen, auf die gehen wir auch gleich kurz ein – und diese drei Ressourcen, die jetzt hier waren, da enthielt eine die eigentliche Malware, also den Wiper. Eine andere enthielt so ein Modul, das war dafür da, den Akteur über den Fortschritt der Operation zu informieren. Und die dritte Komponente, das ist jetzt ein bisschen verwirrend, die enthält nochmal einen Dropper, der wieder zwei Komponenten enthält. Und das ist aus folgendem Grund so: Der Gerätetreiber, von dem wir eben geredet haben, den gibt es für 32-Bit Windows-Systeme und 64-Bit Windows-Systeme. Heutzutage sind alle Systeme eigentlich 64-Bit, aber damals war das noch nicht. Und diese dritte PE-Ressource, die enthält den Dropper nur halt für 64-Bit. Das heißt, da war dann auch der Wiper noch mal für 64-Bit Windows dabei, und dieses Statistik-Reporting Modul nochmal für 64-Bit drin. Und das ist halt einfach die simpelste Methode, den Gerätetreiber sowohl für 32-Bit als auch für 64-Bit Systeme mitzubringen, indem man halt alles zweimal da rein packt.

00:10:28 Christian Dietrich: Es gibt halt insgesamt eine relativ charakteristische Struktur, und das wird gleich nochmal so ein bisschen eine Rolle spielen. Man kann also zusammenfassend sagen: Was ist das eigentlich für eine Malware? Also es ist definitiv ein Wiper, der eben definitiv in der Lage ist oder maßgeblich zum Ziel hat, Dateien unwiederbringlich zu löschen und damit Systeme unbenutzbar zu machen. Und diese Malware hat eben auch einen Namen bekommen, in der Community, man bezeichnet sie eben als Shamoon. Dieser Begriff Shamoon kommt aus einem Dateipfad, dem sogenannten PDB Pfad der Datei. Shamoon selber hat jetzt selber glaube ich keine besondere Bedeutung, das ist glaube ich der arabische Name für Simon. Aber diese Bezeichnung hat sich eben so ein bisschen durchgesetzt für diese Malware, die wir hier gerade beschrieben haben. Vielleicht noch ganz kurz zur Info: Wir haben – wenn ihr mal nachvollziehen wollt, wie das so aussieht, so ein betroffenes System auf dem dieser Wiper eben aktiv wird –  wir haben ein Video dazu gemacht, das packen wir euch – oder den Link dazu – packen wir euch in die Shownotes.

00:11:25 Lars Wallenborn: Ist ja alles schön und gut Chris. Also ich habe mir eine ganz andere Malware angeguckt. Die ist noch nicht so alt, wie das was du uns gerade hier mitgebracht hast. Sondern spulen wir mal vor. Wir sind jetzt im November 2016. Das ist auch eine Wiper Malware, und die hat auch wahrscheinlich Entitäten in Saudi Arabien betroffen. Und ich würde jetzt mal gerne mit dir einfach gucken, ob es da irgendwie Gemeinsamkeiten gibt, oder ob das völlig verschiedene Sachen sind. Also ich beschreibe jetzt einfach mal diese Malware, die ich hier meine. Da sind drei Ressourcen drin, und die haben auch Namen, und die heißen: Also die erste Ressource heißt PKCS12 …

00:12:04 Christian Dietrich: Ja, das ist bei mir auch so.

00:12:05 Lars Wallenborn: Und die zweite Ressource heißt PKCS7, und die dritte heißt X.509.

00:12:12 Christian Dietrich: Ja, das sind ja alles so kryptographische Bezeichner, die man vielleicht kennt, aber die hier nicht als solche verwendet werden. Sondern die hier eigentlich mehr als Begleitumstand so irgendwie verwendet werden.

00:12:23 Lars Wallenborn: Die sollen wahrscheinlich technisch aussehen und nicht so auffallen oder so. Was aber hier ganz interessant ist, diese Bezeichner für Ressourcen Namen, das hört sich ja so an, als komme das häufiger mal vor. Aber wenn man entweder viel Erfahrung hat mit Malware oder wenn man einfach die Möglichkeit hat, sich ganz viel Malware auf einmal anzugucken, dann kann man halt feststellen, na ja, so häufig kommen diese Bezeichner gar nicht vor als Namen von Ressourcen. Also es ist jetzt quasi schon eine recht charakteristische Eigenschaft. Und dazu kommt jetzt hier in dem Fall noch…also Chris, ich beschreibe mal kurz was bei mir da drin ist. Also diese PKCS12 Ressource, da ist  ein Wiper drin, für 32-Bit Systeme, in der PKCS7 Ressource so ein Reporting Modul. Und in der X.509 Ressource ist noch ein Dropper drin, nur für 64-Bit Systeme.

00:13:04 Christian Dietrich: Ja, genau der gleiche Aufbau, den sehe ich eben auch bei Shamoon, also bei dem Vorfall 2012.

00:13:11 Lars Wallenborn: Gehen wir mal weiter so ein bisschen Dimensionen durch, die man da vergleichen kann. Also ich habe mir die Build Time Stamps angeguckt. Die passen nicht zu den anderen Time Stamps in der Malware die ich hier habe. Da glaube ich also, dass die gefälscht wurden von den Akteuren. Wie ist es bei dir, ist es auch fake?

00:13:27 Christian Dietrich: Na ich würde sagen bei Shamoon oder Shamoon-1, da sind die wahrscheinlich verlässlich. Also sagen wir mal so, sie passen auf jeden Fall zum zeitlichen Verlauf des gesamten Vorfalls.

00:13:39 Lars Wallenborn: So, die Ressourcen, die wir jetzt eben schon ein paar mal angesprochen haben, die haben nicht nur Namen, sondern auch so Sprachen, die da dran hängen. Und bei mir hat eine  Ressource die Sprache Arabic Jemen und die anderen Ressourcen von den Halos die da drin enthalten sind, haben die Spracheinstellung English, United States. Wie ist das bei dir?

00:13:58 Christian Dietrich: Da ist die Sprache einfach nicht gesetzt. Also im Prinzip kann man das auch einfach leer lassen, da hätten wir also quasi einen Unterschied.

00:14:05 Lars Wallenborn: Dann mal kurz, wie die Komponenten da drin sind. Die sind da nämlich nicht einfach im plain text bei mir drin, also einfach so, sondern die sind da noch verschlüsselt. Und zwar mit dem einfachsten Algorithmus den man sich so vorstellen kann. Das ist der sogenannte XOR-Algorithmus oder „Exklusives Oder“ zu deutsch. Und um den XOR-Algorithmus hier anwenden zu können, oder einen generellen kryptographischen Algorithmus anwenden zu können, braucht man einen Schlüssel. Und das ist hier jetzt ein fester Schlüssel. Für jede Ressource ein anderer Schlüssel und die sind verschieden lang. Wie ist das bei dir?

00:14:37 Christian Dietrich: Ja, das ist ein bisschen unterschiedlich bei mir. Es ist ebenfalls XOR als Verfahren, die Schlüssel sind aber alle 4 Bit lang. Also eine feste Länge. Aber es ist auf jeden Fall das gleiche Verfahren.

00:14:49 Lars Wallenborn: Nur kürzere Schlüssel, sage ich mal.

00:14:51 Christian Dietrich: Ja.

00:14:52 Lars Wallenborn: Dann gibt es bei mir noch was. Malware macht das manchmal, die enthält so Zeichenketten und die sind bei mir obfuskiert, also selber nochmal verschlüsselt. Also auch mit dem XOR-Algorithmus und einem Schlüssel, der für jeden String anders ist. Wie ist es bei dir?

00:15:05 Christian Dietrich: String obfuscation sehe ich bei mir gar nicht. Also da sind die Strings nicht obfuskiert gewesen. Wie sieht es denn bei dir mit der Persistenz-Technik aus? Also wie versucht die Malware sich  auf dem System einzunisten und dafür zu sorgen, dass sie beim nächsten Boot gestartet wird?

00:15:19 Lars Wallenborn: Dafür könnt ihr euch übrigens auch eine andere Podcast Folge anhören, die letzte die wir gemacht haben. Bei mir wird ein Windows-Service erstellt und der startet dann einfach, wenn das System startet.

00:15:28 Christian Dietrich: Ja, genau das gleiche habe ich auch, also einen Windows Dienst.

00:15:30 Lars Wallenborn: Genau. Dann habe ich noch, dass dieses Wiper-Modul erst gestartet wird, wenn ein bestimmtes Datum eintritt. Soweit ich das verstanden habe, ist das bei dir auch so?

00:15:38 Christian Dietrich: Ja, genau.

00:15:40 Lars Wallenborn: Und bei mir gibt es einen EldoS-Treiber, der wird verwendet um die Dateien zu überschreiben. Also optional gibt es bei mir auch noch die Möglichkeit, die Windows API zu verwenden, aber das ist quasi nur noch oben drauf. Bei mir wird noch ein Bild verwendet um die Dateien zu überschreiben, bevor sie gelöscht werden. Wenn ich mich recht erinnere, war das bei dir auch so.

00:16:00 Christian Dietrich: Das ist auch da so, genau. Es handelt sich aber nicht um das gleiche Bild bei dir. Also im Fall von Shamoon, oder Shamoon-1, war es eben eine brennende US Flagge. Und bei dir?

00:16:09 Lars Wallenborn: Da ist das das Bild von Alan Kurdi, das ist damals auch um die Welt gegangen. Das war so ein kleiner Junge, der tot angespült wurde, so im Kontext der Flüchtlingskrise. Aber ich sage mal beides sind Bilder, die politisch aufgeladen sind.

00:16:22 Christian Dietrich: Auf jeden Fall.

00:16:23 Lars Wallenborn: So dieses Modul, das verwendet wird, um den Akteur über den Fortschritt der Kampagne zu informieren, das basiert auf http, also so wie Browser auch. Und die URL allerdings, die dafür verwendet wird, die hat als Namen, als Servernamen, die Zeichenkette „Server“. Das heißt also, es ist gut möglich, dass das nicht funktioniert hat – außer in dem Netzwerk, in dem der Wiper oder diese ganze Toolchain zum Einsatz gekommen ist, gibt es einen Computer der „Server“ heißt. Wie ist das bei dir?

00:16:53 Christian Dietrich: Ja, das könnte sogar theoretisch sein, weiß man nicht genau. Bei mir ist es ähnlich, auch http als Command and Control Protokoll oder Trägerprotokoll für Command and Control, aber dann ist eine interne, also eine RFC 1918 IP-Adresse verwendet worden. Also auch nur eine IP-Adresse, die in einem Netz erreichbar ist und nicht über das Internet geroutet wird. Ja, könnte auch tatsächlich irgendwo vielleicht eine Gemeinsamkeit sein. Wenn auch im Detail vielleicht etwas anders ausgeprägt.

00:17:20 Lars Wallenborn: Ja, und dann vielleicht noch kurz, ich habe auch recherchiert, diese Malware, die ich mir angeguckt habe, wo die über öffentliche Quellen zugeordnet wird oder auf was für Zielorganisationen die es abgesehen hatte. Da habe ich hauptsächlich gefunden, dass Saudi Arabien im Fokus stand.

00:17:34 Christian Dietrich: Ja, das haben wir ja hier auch. Also Saudi Aramco, eben ja definitiv auch höchst wahrscheinlich betroffen von der Shamoon Malware. Und es gibt eben einen weiteren Kandidaten oder eine weitere potenzielle Zielorganisation von Shamoon-1, das wäre RasGas, das ist ein Gasförderunternehmen aus Katar.

00:17:53 Lars Wallenborn: Genau, das war jetzt ein ziemlicher Ritt, durch so verschiedene Dimensionen, die man vergleichen kann. Das ist nicht so wichtig, dass da jetzt jeder bis ins Detail mitgekommen ist. Die Zusammenfassung davon ist aber schon: Es gibt einige Gemeinsamkeiten, und da gibt es auch sehr starke Gemeinsamkeiten. Also gerade diese Struktur mit den PE Ressourcen und so was wie, dass eine Bild Datei mit einem politischen Kontext verwendet wird, um die Dateien zu überschreiben, würde ich schon als starke Gemeinsamkeiten werten. Es gab aber auch ein paar Unterschiede. Also wir hatten gesehen, dass die Verschlüsselungsalgorithmen – also die Algorithmen waren gleich – aber das Schlüsselmaterial hat sich verändert. Und da gab es auch schon ein paar Unterschiede auch.

00:18:29 Christian Dietrich: Und jetzt gibt es einen ganz coolen Aspekt, wenn man sich mit so älteren Fällen beschäftigt, wie zum Beispiel hier mit Shamoon, das eben vor neun Jahren zugeschlagen hat. Denn natürlich entwickeln sich die technischen Analysemethoden weiter. Wir kennen das irgendwie so aus den Krimis, die DNA-Analyse aus der klassischen Forensik beispielsweise. Die ist natürlich irgendwann mal erfunden worden, und dann konnte man eben retrospektiv noch Verbrechen aufklären, indem man sie eben angewendet hat. Und so langsam, wenn auch nicht ganz so gravierend, kommen wir in der digitalen Forensik auch in so einen Bereich. Und jetzt hat sich eben in den letzten Jahren, als eine weitere Analysemöglichkeit, hier die Analyse der Rich-Header von PE-Dateien etabliert. Das war 2012 bei weitem noch nicht so in der Breite bekannt, gab es damals sicherlich auch schon, aber es war eben nicht so bekannt.  Und wenn man das jetzt hier mal anwendet, dann sieht man eben, dass höchstwahrscheinlich in beiden Fällen auch die gleiche Build Environment, also quasi die gleiche Umgebung zum Kompilieren und Linken des Quellcodes verwendet wurde.

00:19:34 Lars Wallenborn: Und das ist insoweit schon sehr bezeichnend, weil das Bild Environment ist wahrscheinlich von 2010 gewesen. Das ergibt ja noch Sinn, dass man 2012 eine Malware schreibt, die darin geschrieben ist. Nur 2016 ist echt schon sehr viel später. Also ich würde mir nicht vorstellen, dass irgend jemand eine Malware entwickelt und sich dann entscheidet, ich installiere mir jetzt ein Bild Environment, das fünf Jahre alt ist oder so. Das ist sehr viel plausibler, dass da jemand das gleiche Environment einfach weiter verwendet und nie upgedatet hat, damit es noch funktioniert. So wie man das von sich selber halt auch kennt. Und das würde auch einen großen Teil der, in Anführungszeichen, Unterschiede erklären. Weil die Unterschiede könnte man auch sehen als Weiterentwicklung. Also in der Shamoon Malware von 2012 wurde der XOR-Algorithmus mit einem 4 Bit Schlüssel verwendet. In der von 2016 auch ein XOR-Algorithmus, aber mit längeren Schlüsseln, die auch verschieden lang sind, um es irgendwie schwerer zu machen. Und bei vielen der anderen Unterschiede könnte es sich ähnlich verhalten, dass da einfach etwas weiter entwickelt wurde.

00:20:33 Christian Dietrich: Genau. Aus technischer Perspektive sind also die beiden Samples in jedem Fall verwandt. Soviel können wir, glaube ich, an der Stelle festhalten.

00:20:40 Lars Wallenborn: Aber da steht ja jetzt ein riesen Elefant im Raum. Es kann ja immer sein, dass nur jemand so tut, als wäre er Shamoon. Also jemand ist hingegangen, hat diese Rich Header Analyse gemacht, hat herausgefunden, was für ein Bild Environment verwendet wurde, hat sich das eingerichtet und die Malware dann nachimplemetiert. Und aus einer technischen Perspektive kann das einfach immer sein. Im schlimmsten Fall kann man das auch technisch quasi nicht auseinander halten. Da muss der Akteur, der eine sogenannte False Flag Operation jetzt hier durchführt, schon sehr gut sein. Also der muss ja den Akteur, der da simuliert werden soll, sehr, sehr gut kennen und dann auch die Fähigkeit haben, das sehr gut nachzumachen. Aber wie gesagt, das kann einfach immer sein.

00:21:31 Christian Dietrich: Ja, da stimme ich dir zu. Insbesondere wenn wir uns hier maßgeblich auf die Malware Analyse beziehen. Ja, also wir versuchen jetzt vielleicht für den Moment mal so ein paar andere Beobachtungsmöglichkeiten, die vielleicht Nachrichtendienste haben, zu ignorieren. Aber wenn wir wirklich nur die Malware Analyse in den Fokus stellen, dann stimme ich dir absolut zu.

00:21:48 Lars Wallenborn: Man muss aber auch noch sagen, aus einer reinen Malware Analyse Perspektive wäre das hier eine sehr, sehr gute False Flag Operation, wenn es wirklich eine ist. Weil ja nicht nur die Malware genommen wurde und die irgendwie leicht manipuliert wurde, und weiß ich nicht, der Servername ausgetauscht wurde oder so, sondern die Malware wurde ja sogar noch weiter entwickelt, und auch auf eine gewissermaßen glaubhafte Art und Weise. Und das kann natürlich sein, es ist nur vielleicht ein bisschen unplausibel. Also hier würde ich jetzt vielleicht sogar die Unterschiede, die wir eben festgestellt haben, als Argument in den Ring führen, zu sagen, das ist keine False Flag Operation. Weil es sich halt so gut weiterentwickelt hat.

00:22:25 Christian Dietrich: Ja, es ist nicht nur einfach gepatched sozusagen, ja, Kleinigkeiten ausgetauscht, sondern wir haben ja durchaus ein paar Unterschiede festgestellt. Und du sagst, das ist die Konsequenz aus einer Entwicklung, die hier stattgefunden hat. Eine Weiterentwicklung.

00:22:38 Lars Wallenborn: Ja, ich würde sagen, ich nenne jetzt einfach die Malware, die ich eben hier vertreten habe, Shamoon-2. Und ich würde sagen, Shamoon-1 und Shamoon-2 sind technisch sehr, sehr ähnlich, und die Zielorganisationen sind vergleichbar. Und es sind beides Wiper Malware Komponenten.

00:22:52 Christian Dietrich: Da wollen wir uns doch jetzt einmal so ein bisschen mit der Attribution beschäftigen. Man kann ja die Attribution  mindestens in zwei Phasen aufteilen. Nämlich einmal zu versuchen, ähnliche Vorfälle zu finden – also das was wir gerade gemacht haben. Wir haben also den Vorfall von 2012, also Shamoon-1, in  Beziehung gesetzt  zu dem Vorfall von 2016, also Shamoon-2. Das könnte man vielleicht auch  als Clustering bezeichnen. Und was man darüber hinaus vielleicht noch machen möchte, ist natürlich, diese Vorfälle Akteuren zu zuschreiben und diese Akteure irgendwie Personen oder Echtwelt-Institionen zuzuordnen.

00:23:31 Lars Wallenborn: Und das Coole an der Situation in der wir jetzt sind, wo wir ja schon eine Beziehung zwischen Shamoon-1 und Shamoon-2 etabliert haben: Wenn wir einen von den beiden einer Echtwelt-Institution zum Beispiel zuordnen könnten, dann hätten wir gewissermaßen den zweiten auch schon zumindest zu dieser Echtwelt-Institution verbunden. Ja, man kann sich das so vorstellen, wie in so einer Krimiserie oder so. Ein Mörder-Board, also so ein großes Pin-Board mit so Pins drauf und zwischen den Pins so kleinen Fäden. Und die sagen wenn was in Beziehung steht. Da sind jetzt für Shamoon-1 und Shamoon-2 da so kleine Pins drin, die sind mit einem roten Faden verbunden. Und wenn wir jetzt Shamoon-1 oder 2 in Verbindung bringen mit irgendeinem Staat zum Beispiel, dann hätte Shamoon-2 zumindest auch eine Beziehung wahrscheinlich.

00:24:13 Christian Dietrich: Da war es wieder, das Mörder-Board von dir aus Folge Zwei. Dann ist die Sache ja relativ einfach, denn bei Shamoon-1 gab es ja ein Bekennerschreiben, man könnte also meinen, Attribution ist gelöst. Also da gab es eine Gruppe, die sich selbst als Cutting Sword of Justice bezeichnet hat…

00:24:28 Lars Wallenborn: Das schneidende Schwert der Gerechtigkeit.

00:24:30 Christian Dietrich: Mhm. Und die eben auch auf Pastebin – verlinken wir euch auch in den Shownotes, wenn ihr da mal die Primärquelle konsultieren wollt – zugegeben hat oder behauptet hat, dass sie eben hinter diesem Angriff irgendwie steckt. Kurze Zeit später gab es auch noch eine zweite Gruppe, die Arab Youth Group, also die arabische Jugendgruppe, die sich eben auch dazu bekannt hat. Aber darum soll es  hier eigentlich gar nicht so primär gehen. Denn was wir ja eigentlich wollen, aus der Perspektive der Attribution, ist hier sozusagen organisch einen Akteur zu attributieren und den eben potenziell auf Echtwelt-Institutionen oder eben Personen irgendwie zurück zu führen. Und ich glaube, wir können an der Stelle schon vorweg nehmen, dass wir  zumindest eben keine öffentlichen Anhaltspunkte gefunden haben – nicht nur wir nicht, sondern ich glaube auch zumindest keiner so im privat sector – die eben einen belastbaren Bezug zwischen der Malware und einem staatlichen Akteur oder einer Echtwelt-Institution oder eben gar einer Person zulassen.

00:25:35 Lars Wallenborn: Außer diese eine Reporterin bei der New York Times.

00:25:39 Christian Dietrich: Mhm. Die hat nämlich zwei ehemalige Regierungsmitarbeiter aufgetrieben, also Intelligence Officials aus den USA, die eben gesagt haben, der Akteur hinter diesem Vorfall, also hinter Shamoon-1 insbesondere eben, sei aus dem Iran, oder würde Interessen des Irans umsetzen. Dafür sind aber keine spezifischen Beweise öffentlich gemacht worden. Das heißt, das muss man im Prinzip an der Stelle erst mal so hinnehmen. Wir können an dieser Stelle vielleicht mal so ein bisschen versuchen, zu beleuchten, was denn da möglicherweise im Hintergrund analytisch passiert sein könnte.

00:26:18 Lars Wallenborn: Weil Nachrichtendienste, also Intelligence Officials, hast du ja gesagt, die haben halt sehr viel mehr Möglichkeiten als Institutionen im privaten Sektor oder Privatpersonen.

00:26:26 Christian Dietrich: Genau. Man könnte zum Beispiel hier vermuten – das wissen wir nicht – dass hier auch so eine Metadaten Analyse von Kommunikationsströmen beispielsweise irgendwie stattfand. Das heißt, man könnte sich zum Beispiel vorstellen, wenn man Kommunikation, also Command and Control Kommunikation, die im Rahmen der Operation sowieso angefallen ist, wenn man die also irgendwie beobachten und dann irgendwie zuordnen kann, also Personen oder Organisationen zuordnen kann, dann kann darüber natürlich auch eine Attribution stattfinden. Oder man verwendet typische nachrichtendienstliche Methoden. Also so was wie menschliche Quellen…

00:27:01 Lars Wallenborn: Oder auch ganz allgemeine solche nachrichtendienstliche Methoden. Also man spricht da auch manchmal von HUMINT. Das ist, wenn Menschen Menschen ausspionieren oder Menschen generell irgendwie spionieren. Das kann Undercover Work sein und all dieser ganze Themen Komplex. Und was bestimmt auch hier passiert ist, ist, dass eine technische Analyse durchgeführt wurde, so wie wir sie eben auch so ein bisschen gemacht haben. Und natürlich noch viel mehr davon. Viel mehr Zeit investiert, viel mehr Malware analysiert und vielleicht auch mehrere solche Angriffe dann auch geclustert als nur zwei.

00:27:31 Christian Dietrich: Ja, und man kann natürlich sich auch immer die Frage stellen, cui bono? Also wer profitiert hier eigentlich davon? Und dafür lässt sich eben so ein bisschen das politische Feld hier beobachten, das heißt also insbesondere die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran. Möglicherweise eben auch Saudi Arabien. Und da ist eben ganz klar die Abhängigkeit der USA vom Öl ein Aspekt. Vielleicht noch ein bisschen als Kontext: Also die USA und Iran unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, also zumindest nicht seit den achtziger Jahren, glaube ich. Und im Juli 2012 hat sich die Situation so ein bisschen verschärft. Also auch die EU hat ein Öl-Embargo verhängt gegen den Iran. Also die EU hat kein Öl mehr aus dem Iran importiert. Das sind wohl etwa 20 Prozent der Exporte des Irans gewesen, und dieses Embargo ist am 1. Juli 2012 in Kraft getreten und Shamoon-1 fand ja eben im August 2012 statt.

00:28:28 Lars Wallenborn: Und man könnte sich vielleicht jetzt einfach ganz platt vorstellen, ein iranischer Akteur hat sich gedacht: Jetzt hat die EU Importverbote für Öl erlassen. Wenn ich jetzt dafür sorge, dass generell der Ölpreis steigt oder das Öl-Angebot sinkt, indem man Saudi Aramco zumindest für eine Weile handlungsunfähig macht, könnte dieses Embargo vielleicht wieder aufgelöst werden oder vielleicht wird auch noch Öl aus dem Iran gekauft. Aber ist vielleicht auch eine sehr einfache Denkweise.

00:28:53 Christian Dietrich: Wenn wir an der Stelle jetzt so ein bisschen resümieren, dann können wir ja sagen, natürlich haben wir hier primär auf die Malware geschaut. Wir haben also eine technische Analyse der Malware vorgenommen. Aber jetzt hier kürzlich auch versucht mal aufzuzeigen, was es für andere Analysemethoden eben gibt, die möglicherweise eben völlig unabhängig sogar von der Malware sind. Oder vielleicht natürlich ein bisschen in Bezug stehen, so was wie Kommunikationsströme analysieren, kann man ja doch über Command and Control mit einer Malware in Verbindung bringen. Aber eben zum Beispiel diese nachrichtendienstlichen Methoden, die du ja angesprochen hast, die würde da ja rausfallen. Oder eben eine Analyse des politikwissenschaftlichen Spektrums wäre da sicherlich auch nicht mit von erfasst. Und das ist eben ganz interessant, weil eben im Rahmen der Attribution es sicherlich sinnvoll ist, in verschiedenen Dimensionen zu denken. Da gibt es auch ein ganz interessantes Framework was Timo Steffens vorgestellt hat, in seinem Buch zur Attribution von maßgeblich gezielten Angriffen oder APT Akteuren, das eben eine ganze Reihe dieser Dimensionen irgendwie umfasst und die auch mal auflistet. Und so ein bisschen zeigt, wie man da auch vorgehen kann.

00:30:02 Christian Dietrich: Ich würde gerne an der Stelle einmal festhalten, dass die öffentliche Attribution in meiner Wahrnehmung heute anders stattfindet als damals. Also damals heißt jetzt 2012. Wir haben in der Zwischenzeit eine ganze Reihe an öffentlichen Attributionen gesehen, das heißt, ich denke da zum Beispiel an die Indictments, also an die Anklagen in den USA, wo eben APT-Akteure öffentlich in solchen Indictments beschrieben wurden. Und da sieht man eben, dass das 2012 noch nicht so war. Also außer irgendwie zwei ehemaligen Regierungsoffiziellen, die sich da irgendwie unter dem Deckmantel der Anonymität irgendwie zu ausgelassen haben, hat man da eigentlich nicht wirklich belastbare Informationen preisgegeben. Und ich glaube, das ist definitiv eine Veränderung, eine Weiterentwicklung die da stattgefunden hat.

00:30:53 Lars Wallenborn: Gut, wollen wir dann zum Fazit übergehen? Vielleicht als erstes – weil das ja immer ganz interessant ist, wenn man sich das fragt – was kann man tun, um sich gegen so was zu wehren. Da kann man anschauen, was hier vermutlich falsch gelaufen ist – zumindest bei dem ersten Shamoon Angriff von 2012. Weil da hat nämlich der Standort von Saudi Aramco in Houston wohl Anomalien festgestellt. Also die haben Indikatoren dafür gefunden, dass vielleicht ein Angriff stattfindet oder dass da vielleicht eine Malware aktiv ist. Aber die Info hat es dann irgendwie nicht an die Stellen geschafft, die dann auch die Entscheidungen und die Gegenmaßnahmen hätten einleiten können. Man hat sich halt so gedacht, das lohnt sich gar nicht da ein Issue aufzumachen. Weil die Entscheider, die da was hätten gegen tun können, die sind wahrscheinlich gerade mit dem Ramadan beschäftigt. Das war gerade die letzte Woche vor dem Fest des Fastenbrechens oder umgangssprachlich Zuckerfest. Deswegen haben sich die Leute am Standort Houston dann gedacht, na ja, das ist wahrscheinlich nur eine Kleinigkeit, die wollen wir da gar nicht stören, Ja, hätten sie mal gemacht, vielleicht hätte dieser Angriff dann verhindert werden können.

00:31:53 Christian Dietrich: Ja, ist schon wieder ein interessanter Aspekt, dieses Timing. Also du hast gerade gesagt, der Ramadan hat eine Rolle gespielt und dass eben ganz viele Mitarbeiter im Urlaub waren. Also vielleicht vergleichbar in der christlichen Religion oder in christlichen Kulturkreisen mit der Woche vor Weihnachten oder nach Weihnachten oder so.

00:32:10 Christian Dietrich: Um Ostern herum. Die Frage des Timings haben wir ja bei einem anderen Angriff, in Folge Eins zum Bankraub von Bangladesch ja auch schon mal im Detail irgendwie ausgearbeitet. Also auch vielleicht da noch mal rein hören, wen das interessiert.

00:32:21 Lars Wallenborn: Und der zweite Fazitpunkt, den werde ich auch nochmal erwähnen, obwohl wir da schon ein bisschen drauf Wert gelegt haben, nämlich dass wir hier den technischen Analyseschritt nur durchgeführt haben von so einer Attribution und dabei aber über technische Wege auch schon ein Clustering durchführen konnten. Also wir konnten zwei völlig unabhängige Vorfälle mit zwei erst mal unabhängigen Malware Familien in Verbindung bringen, indem wir die konkrete Malware, die wir hatten, analysiert haben und da dann Verbindungen oder Gemeinsamkeiten gefunden haben. Und dieses Clustering ist notwendige Voraussetzung, meiner Meinung nach, um überhaupt Attribution durchzuführen. Also ich finde, niemand wird sagen, er kann was attributen, indem er nur eine einzige Malware-Datei hat. Also es ist immer wichtig, in Kontext setzen zu können. Und das halt besonders einfach, wenn man wie hier, Malware Samples finden kann, die eine Fortentwicklung davon sind oder Vorgänger davon sind.

00:33:17 Christian Dietrich: Ich finde einen Aspekt hier noch nennenswert, nämlich zur Einordnung von Shamoon. In meinen Augen sind destruktive Angriffe äußerst selten. Also wenn man mal versucht, sich so ein bisschen dran zu erinnern, was wir vielleicht so in den letzten zehn Jahren überhaupt an destruktiven Angriffen hatten, dann ist das sicherlich Stuxnet im Jahr 2010, Shamoon 2012, dann vielleicht das Sony Pictures Entertainment 2014, Black Energy 2015, Shamoon-2 dann 2016, NotPetya 2017. Aber daran sieht man schon, Spionage und kriminell und finanziell motivierte Vorfälle passieren eben um Größenordnungen häufiger. Und das macht destruktive Angriffe natürlich ganz interessant. Die sind also deutlich seltener.

00:34:06 Lars Wallenborn: Also man könnte sagen, man kann die destruktiven Angriffe die in den letzten zehn Jahren stattgefunden haben, oder sogar mehr, an einer oder höchstens zwei Händen abzählen. Und das macht halt jeden destruktiven Angriff besonders und deswegen haben wir uns auch entschieden, das in dieser Folge mal ein bisschen genauer zu beleuchten. Schön, dass ihr bis hierher zugehört habt und wenn es euch gefallen hat, dann freuen wir uns natürlich immer über eine gute Bewertung in der Podcast-App eurer Wahl oder einem Follow auf Twitter unter @armchairgators.

00:34:35 Christian Dietrich: Alle unsere Folgen findet ihr auf unserer Website armchairinvestigators.de oder in der Podcast-App eurer Wahl.

00:34:44 Lars Wallenborn: Bis zum nächsten mal. Ciao.

00:34:46 Christian Dietrich: Bis zum nächsten mal. Tschüss.

Shownotes